Der lange Schatten
tragen, Célines baldigem Ehemann. LaBréa und sie hatten sich entschlossen, ihre Beziehung zu legitimieren, damit ihr Kind ehelich geboren wurde. In diesen Dingen waren beide altmodisch und widersetzten sich dem Trend zur Patchworkfamilie mit unterschiedlichen Namen der Kinder aus unterschiedlichen Verbindungen.
Sie nahm die beiden Überweisungsformulare, die sie am Kundenplatz ausgefüllt hatte, erhob sich und ging zur Kasse. Dort warteten bereits eine ältere Frau und ein bärtiger, schwergewichtiger Mann. Céline stellte sich hinter die beiden. Der Mann, der gerade am Kassenschalter bedient wurde, ließ sich offenbar Zeit. Er trug einen abgeschabten schwarzen Lederblouson und verwaschene Jeans. Ganz offensichtlich flirtete er mit Bernadette Gaspard, der Kassiererin. Die lächelte ihn freundlich an und zahlte ihm eine Summe aus. Ohne Eile zog der Mann seine Geldbörse aus der Brusttasche der Jacke und verstaute die Scheine darin. Als die Kassiererin jetzt Céline entdeckte, hob sie kurz die Hand und grüßte. Der Mann warf der Kassiererin einen letzten Blick zu und verließ den Schalter. Céline blickte kurz in ein graues, unrasiertes Gesicht, das sie an den amerikanischen Schauspieler Mickey Rourke in jungen Jahren erinnerte. Er wirkte älter, als er vermutlich war, wofür die tiefen Falten rechts und links der Mundpartie eine nicht unwesentliche Rolle spielten.
Die ältere Frau trat an den Kassenschalter.
Einer der Bankangestellten, die rechts vom Kassenschalter an ihren Arbeitsplätzen saßen, blickte auf seine Armbanduhr und stand auf. Aus der Tasche seiner Anzughose zog er einen Schlüssel und wandte sich an die Kunden.
»Zwölf Uhr«, rief er den Anwesenden zu. »Ich schließe jetzt ab, meine Herrschaften. Aber Sie können sich ruhig Zeit lassen. Denn raus kommen Sie immer!« Er lachte und ging zur Sicherheitsschleuse. Der Doppelgänger von Mickey Rourke folgte ihm.
Die Kassiererin tippte etwas in ihren Computer und blickte auf den Bildschirm. Dann griff sie ins Kassenfach und holte einige Scheine heraus, um sie der älteren Frau auszuhändigen.
Plötzlich hörte Céline vom Eingang her eine laute, schneidende Stimme.
»Alles hinlegen, los, runter auf den Boden!«
Ein schwarz maskierter Mann mit Handschuhen hielt eine Pistole in der Hand und trieb den Mann im Lederblouson sowie den Bankangestellten durch die offene Sicherheitsschleuse zurück in die Bank. Letzterem gab er einen kräftigen Stoß, so dass der Mann stolperte und hinfiel. Sofort war der Maskierte über ihm und drückte ihm die Waffe ins Genick. Seine Stimme klang aggressiv.
»Alle runter auf den Boden, sag ich!« Im Raum herrschte Totenstille. Der Maskierte blickte zur Kassiererin. »Und du da, heb die Hände hoch, mach ja keinen Blödsinn!« Er wandte sich an den zweiten Bankangestellten. »Los, steh auf und komm hier rüber. Die Hände über den Kopf!« Seine Augen hinter den Schlitzen in der Maske funkelten bösartig. Auch dort, wo sein Mund war, gab es eine Öffnung in der wollenen Maske. Céline sah wulstige Lippen und große, kräftige Zähne
All das ging unglaublich schnell. In Bruchteilen von Sekunden war Céline die Situation klar. Ein Banküberfall. Ein bewaffneter Täter, der kurz vor Schließung der Bank die Gelegenheit ergriff. Ihre Gedanken überschlugen sich. Um Gottes willen!, schoss es ihr durch den Kopf. Für einen kurzen Augenblick dachte sie an das ausgedruckte Sonografiebild ihres ungeborenen Kindes, das in ihrer Jackentasche steckte. In ihrem Zustand musste sie Aufregung und Stress unbedingt vermeiden … Angst fraß sich in ihr Herz, das wie wild schlug. Ohne zu zögern folgte sie der Anweisung des Maskierten und legte sich auf den Boden.
Der zweite Bankangestellte, ein blonder junger Mann, dessen Namensschild am Revers ihn als Leonardo Nadal auswies, kam mit erhobenen Händen hinter seinem Schreibtisch hervor und ging langsam in die Mitte des Raumes. Dort hatte sich der bärtige, korpulente Mann bereits auf dem Boden ausgestreckt; er wandte Céline sein Gesicht zu. Die ältere Frau am Kassenschalter betrachtete mit aufgerissenem Mund das Geschehen – sie hatte sich nicht gerührt. Der Maskierte schrie sie an.
»He, Oma, wird’s bald? Auf den Boden, hab ich gesagt!« Die Frau ging steif in die Knie und legte sich langsam hin.
Aus den Augenwinkeln spähte Céline zum Kassenschalter. Wie würde Bernadette Gaspard reagieren? Von LaBréa hatte Céline einmal erfahren, dass sich unter der Tischplatte jedes
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