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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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seinem Rücken. Die Schleuse schloss und öffnete sich wieder, jetzt befanden sie sich alle drei im Schalterraum. Der Bankangestellte betätigte einen Knopf seitlich an der Schleuse, damit sie geöffnet blieb.
    Sofort begann der Täter seine Befehle zu bellen. Ihm war der perfekte Überraschungscoup gelungen. Dass sich wenig später die Sicherheitsschleuse schließen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
    Eines war Christian klar: Nun waren sie allesamt in der Bank gefangen. Dem Täter war der Fluchtweg versperrt. Seinen Plan, durch einen Überraschungscoup schnell an die Beute zu kommen und ebenso schnell wieder zu verschwinden, konnte er abschreiben. Er hatte die Nerven verloren und die Kassiererin ermordet. Sein Stresslevel war jetzt auf höchstem Niveau, und das war nicht gut. Gar nicht gut.
    Christian versuchte, einen Blick hinter den Kassenbereich zu werfen. Dort ging eine Tür nach hinten ab. Da sie in ein System von Wandschränken eingelassen war, war sie auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Christian hatte vor einigen Wochen einmal gesehen, wie die Kassiererin dahinter verschwand. Vermutlich lagen dort Büro- und Verwaltungsräume. Es gab keinen Sichtkontakt dorthin. Irgendjemand musste den Schuss gehört haben und hatte sicher ebenfalls die Polizei alarmiert. Hoffentlich waren die Leute so schlau und ließen sich nicht im Schalterraum blicken, und hoffentlich konnten sie die Tür von ihrer Seite aus abschließen.
    Die Kassiererin blätterte ihr die Banknoten hin, zweihundert Euro in gemischten Scheinen, wie Marguerite Brancard es gewünscht hatte. Als sie das Geld an sich nehmen wollte, hörte sie einen dumpfen Schlag, als ob jemand hingefallen wäre. Gleichzeitig vernahm sie die Stimme eines Mannes, der allen befahl, sich sofort auf den Boden zu legen.
    Nach einem kurzen Blick auf die Kassiererin, die wie versteinert wirkte, drehte Marguerite sich um. Ein maskierter Mann hielt eine Waffe in der Hand. Einer der Bankangestellten und der junge Mann, der vor ihr am Kassenschalter bedient worden war, lagen am Boden.
    Lieber Gott, hilf mir … Wie versteinert stand sie da. Eine Welle von Panik erfasste Marguerite. Kein Zweifel, hier fand soeben ein Banküberfall statt. Erneut suchte sie flehentlich den Blick der Kassierin. Diese hielt schon die Hände über dem Kopf und trat langsam hinter ihrem Schalter hervor. Dabei zögerte sie kurz, wobei sie den Maskierten keinen Moment aus den Augen ließ.
    Erneut wandte Marguerite den Kopf. Alle im Schalterraum, bis auf den jungen Bankangestellten namens Nadal, lagen bereits auf dem Boden. Marguerite erschrak, als der Maskierte sie jetzt anbrüllte. »He, Oma, wird’s bald!« Marguerites Herz hämmerte. In einem plötzlichen Schwächeanfall spürte sie, wie ihr die Beine wegzusacken drohten. Langsam glitt sie nach unten, legte sich auf den Bauch, streckte ihre Arme vor und wandte ihr Gesicht der Rückwand des Kassenschalters zu. Es war vielleicht besser, so wenig wie möglich von dem Geschehen im Raum mitzubekommen. Unauffällig bleiben, keine Aufmerksamkeit erregen.
    Plötzlich fiel ein Schuss. Marguerite zuckte zusammen. Die Kassiererin, von der Marguerite wusste, dass sie verheiratet war und einen sechsjährigen Sohn hatte, sackte hinter den Kassenschalter. Eine neue Welle von Panik brach über Marguerite herein. Wie von selbst bewegten sich ihre Lippen zu einem stummen Gebet. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln … Die raschen Schritte des Maskierten ließen ihre innere Stimme verstummen. Aus den Augenwinkeln sah Marguerite, wie der Bankräuber den Körper der Kassiererin hinter dem Tresen hervorholte und durch den Raum schleifte. War sie tot? Herr im Himmel, hilf uns allen! Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser … um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …
    Erneut brach sie ab. Ein Gedanke durchzuckte sie und schaltete für einige Sekunden alles andere aus. Maman! Ihre Mutter lag allein zu Hause und wartete auf Marguerites Rückkehr. Sie hätte längst auf dem Heimweg sein müssen! In wenigen Minuten hätte sie die Haustür aufgeschlossen, wäre in die Wohnung geeilt in der Hoffnung, dass die Vorwürfe und Nörgelei der Mutter sich diesmal in Grenzen hielten. Stattdessen war sie hier gefangen, als Geisel eines Wahnsinnigen, der soeben auf die Kassiererin geschossen hatte. Nie im Leben würde Maman ihr diese Geschichte glauben! Regelrecht toben würde sie, wenn Marguerite nicht

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