Der lange Schatten
schließen konnte, klingelte sein Handy. Er fingerte es aus der Tasche seines Trenchcoats und warf einen Blick auf das Display. »Céline« stand dort, und ein kleines Lächeln huschte über LaBréas Gesicht. Zum Hausbesitzer gewandt hob er entschuldigend den Arm und ging zurück ins Treppenhaus. Dominique Faubin stand in der offenen Tür, die Hände in die Hosentaschen vergraben. Er dachte nicht daran, sich diskret in seine Wohnung zurückzuziehen.
LaBréa drückte auf den Empfangsknopf.
»Ja, chérie ?«
Doch Céline meldete sich nicht. LaBréa vergewisserte sich, dass die Verbindung hergestellt war. Kein Zweifel, jetzt sah er auch Célines Nummer auf dem Display.
»Ja, hallo, Céline?«, sagte er etwas lauter und presste das Gerät fester an sein rechtes Ohr. Er vernahm ein Rauschen, dann eine männliche Stimme. Was sie sagte, konnte er nicht verstehen.
»Céline, melde dich doch! Kannst du mich hören?«
Céline antwortete nicht.
Komisch, keine Verbindung, oder was?, dachte LaBréa und wollte das Gespräch wegdrücken. Da hörte er plötzlich, wie ein Mann ganz deutlich sagte: »Los, fang bei der Oma vorn an der Kasse an!« Es war dieselbe Stimme wie eben.
LaBréa stutzte. Was hatte das zu bedeuten?
»Céline? Kannst du mich hören?«, fragte LaBréa noch einmal, doch diesmal dämpfte er unwillkürlich seine Stimme. Irgendetwas stimmte da nicht. Er war zweifelsfrei mit Célines Handy verbunden, doch sie meldete sich nicht. Stattdessen … Angestrengt lauschte LaBréa. Er hörte rasche Schritte. Sie kamen näher und entfernten sich. Plötzlich ertönte ein dreckiges Lachen, und die Stimme von eben rief: »Die Oma hat sich vor Angst in die Hosen gepinkelt! Und jetzt der Nächste. Aber ein bisschen plötzlich.« Der Mann sprach mit südlichem Akzent.
LaBréa spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. Instinktiv wusste er, dass es sich hier weder um einen schlechten Scherz von Céline handelte noch um eine fehlgelaufene Handyverbindung. Irgendetwas musste geschehen sein. Er blickte auf die Uhr. Fünf nach zwölf. Céline hatte ihm vor einer Viertelstunde gesagt, dass sie noch auf ihre Bank wollte …
Er fuhr zu dem Hausbesitzer herum, der ihn unverwandt fixierte.
»Ich muss sofort weg, komme später wieder!«, sagte er leise und rannte mit dem Handy am Ohr die Treppe hinunter. Dominique Faubin knurrte etwas Unverständliches und knallte seine Wohnungstür zu.
Im Hausflur unten blieb LaBréa stehen. Angestrengt lauschte er ins Telefon. Erneut waren am anderen Ende der Leitung Schritte zu hören. Klackende Schritte auf einem Steinfußboden. Auf einmal ertönte Célines vertraute Stimme. Doch sie sprach nicht mit ihm, und ihre Worte klangen fremd und wie durch einen Wattebausch gefiltert.
»Bitte, Monsieur, Sie brauchen uns doch nicht zu fesseln! Packen Sie das Geld ein, und verschwinden Sie durch eines der Fenster. Niemand von uns rührt sich. Und niemand von uns kann der Polizei etwas sagen, weil niemand Sie gesehen und erkannt …«
Die fremde Männerstimme unterbrach Celine brüsk.
»Halt die Schnauze!«
LaBréa hörte einen dumpfes Geräusch und einen leisen Aufschrei von Céline. Dann vernahm er ein Rascheln und ein Stöhnen. Mit einem Schlag war ihm klar, dass er über die Verbindung zu Célines Handy Zeuge eines Banküberfalls in der LCL am Boulevard Diderot wurde. Irgendwie hatte Céline es geschafft, seine Nummer auf ihrem Handy anzuwählen. Vermutlich hatte sie den Täter bewusst laut angesprochen, in der Hoffnung, dass LaBréa das Gespräch mithörte und eins und eins zusammenzählte. LaBréa lief es eiskalt über den Rücken. Seine schwangere Freundin befand sich in der Gewalt eines Bankräubers, der sich anscheinend nicht mit dem schnellen Raub der Beute begnügt hatte, sondern die Menschen in der Bank fesselte und als Geiseln nahm. Warum? Was war schiefgegangen? War er allein? Gab es einen Komplizen? Wer war außer Céline und den Bankangestellten noch in dem Geldinstitut? Hatte irgendjemand in der Bank bereits den Alarm auslösen können?
In höchster Anspannung lauschte LaBréa in den Hörer. In dem Moment öffnete ein junger Mann die Haustür. Wohnte er hier? LaBréa zog seinen Dienstausweis aus der Manteltasche und hielt ihn dem Mann vor die Nase. Ohne sein Telefon vom Ohr zu nehmen, zischte er ihm zu: »Haben Sie ein Handy?« Der junge Mann blickte ihn irritiert an und nickte dann.
»Dann geben Sie es mir. Schnell!«
Der junge Mann holte es aus der Brusttasche seiner
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