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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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sagte der Paradiesvogel nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Wollen Sie sich krankmelden?«
    »Nur wenn der Schöngeist mir nicht einige Tage unbezahlten Urlaub bewilligt.« Er griff zum Telefon und wählte die Nummer des Direktors. Hoffentlich war er um diese Zeit noch in seinem Büro. Seine Sekretärin meldete sich.
    »Moment, ich stelle Sie durch, Commissaire«, meinte sie.
    »Nicht nötig, Madame. Ich komme rauf. Es ist dringend.«
    Ohne die Antwort abzuwarten, legte LaBréa auf. Bevor er sein Büro verließ, sagte er: »Einer von Ihnen überwacht heute Nacht mein Telefon, falls der Kerl es über den Dienstapparat versucht.«
    »Ich übernehme das, Chef«, erwiderte Franck. »Wenn ich Ihren Computer benutzen darf, wegen der Ermittlungen im Fall Chambon?«
    LaBréa nickte. Er wusste, dass er sich auf Franck verlassen konnte. Bei einem erneuten Anruf des Geiselnehmers würde er versuchen, den Mann solange hinzuhalten, bis dessen Nummer zurückverfolgt werden konnte.
    »Und Sie?«, wollte Claudine wissen. »Haben Sie einen Plan, Chef?«
    »Noch nicht. Ich gehe erst mal nach Hause. Da habe ich eine Akte mit Mordfällen aus meiner Zeit in Marseille und hier in Paris. Von den wichtigen Ermittlungsunterlagen habe ich mir immer Auszüge aus den Originalprotokollen kopiert.«
    »Wow!«, bemerkte Jean-Marc.
    »Ja, okay, das ist nicht ganz legal«, erwiderte LaBréa und zuckte die Achseln. »Aber man weiß ja nie, wozu so etwas gut ist. Ich seh mal nach, ob ich irgendwas finde, was mich in Verbindung mit diesem Typen bringt. Irgendein Hinweis, eine Winzigkeit.«
    »Müsste schon was Wichtiges sein, Chef.« Franck kratzte sich am Dreitagebart. »Wo der Kerl sich so genau an Sie erinnert!«
    »Wenn es so was Wichtiges wäre, würde ich mich ebenfalls daran erinnern. Aber vielleicht habe ich es auch schlicht und einfach vergessen. Deshalb will ich meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Vielleicht habe ich Glück. In den nächsten zwei Stunden können Sie mich also über mein privates Festnetz erreichen, Franck. Falls hier ein Anruf eingeht.«
    Direktor Thibon saß hinter seinem Schreibtisch und schob sich eine Süßigkeit in den Mund. Vor ihm lag eine angebrochene Schachtel feinster Edelpralinen. Genüsslich ließ er den Nougattrüffel auf der Zunge zergehen und verzog kennerhaft die Lippen. Das Mienenspiel des Direktors fand ein jähes Ende, als LaBréa das Büro betrat. Rasch schluckte Thibon den Rest der Praline herunter, schob die Schachtel beiseite und lehnte sich zurück.
    »Nun, LaBréa, wollen Sie sich für Ihr ungeheuerliches Verhalten vorhin bei mir entschuldigen?«, sagte er statt einer Begrüßung. »Das wird aber auch Zeit!«
    »Wenn Sie darauf bestehen, Monsieur.«
    »Ja, allerdings! Das ist ja wohl das Mindeste.«
    »Gut, dann entschuldige ich mich hiermit.«
    »Alles andere nimmt dann seinen Lauf, LaBréa. Sie kennen das Repertoire der Disziplinarmaßnahmen. Sie können jetzt gehen.« Der Direktor wandte den Kopf ab und schlug eine Akte auf.
    »Noch nicht, Monsieur. Ich beantrage einige Tage unbezahlten Urlaub.«
    Thibon warf ihm einen abschätzenden Blick zu.
    »Unbezahlten Urlaub? Den gibt es in meiner Abteilung nicht. Wenn es um Ihre Freundin geht, die sich in der Gewalt des Geiselnehmers befindet …«
    LaBréa unterbrach ihn brüsk. »Dann melde ich mich hiermit krank, Monsieur le directeur. Ich habe rasende Kopfschmerzen, außerdem Schwindelanfälle. Ein ärztliches Attest reiche ich nach.«
    Er wandte sich um und verließ Thibons Büro. Thibon war so perplex, dass er nichts erwiderte. Stattdessen griff er langsam nach der Pralinenschachtel und biss krachend in einen neuen Trüffel. Da er einen mit Cognacfüllung erwischt hatte, landete die Hälfte davon auf seiner Seidenkrawatte.
    Halb acht. Ein Nieselregen hatte eingesetzt. Auf den Bürgersteigen und Straßen spiegelte sich das Licht der Straßenlaternen. Es mischte sich mit dem Rot und Grün der Ampeln und dem flackernden Scheinwerferlicht der Autos.
    Beim Pont Notre Dame überquerte LaBréa die Seine. Dunkel schlug das Wasser an den Quai. Ein hell erleuchtetes Ausflugsboot steuerte auf die Brücke zu. Die Sitzplätze unter Deck waren leer. Ein Geisterboot auf einer Irrfahrt durch eine unwirtliche Nacht.
    Zehn Minuten später erreichte LaBréa seine Wohnung in der Rue des Blancs Manteaux und gab den Haustürcode ein. Im Hinterhof begegnete ihm Monsieur Hugo, der Hausmeister. Er klappte eine der Mülltonnen zu und kam zurück in den Flur

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