Der lange Schatten
stieg in LaBréa erneut die Angst um Céline hoch.
Er informierte seine Mitarbeiter über das Gespräch. Jeder im Raum wusste um den Ernst der Lage. Franck veranlasste, dass sofort Maßnahmen ergriffen wurden, damit auf LaBréas Festnetztelefon und Handy alle eingehenden Anrufe zurückverfolgt werden konnten. Es war ein schweres Versäumnis gewesen, dass LaBréa nicht früher daran gedacht hatte, seine Telefone überwachen zu lassen. Nun würde er nie in Erfahrung bringen, woher der erste Anruf des Geiselnehmers gekommen war.
Dann drehte sich das Gespräch um die Lösegeldforderung des Bankräubers.
»Eigentlich müsste die LCL-Bank diese Summe lockermachen«, meinte Claudine. »Die Entführung Ihrer Freundin geschah im Zusammenhang mit dem Überfall, Chef. Die sind doch gegen so was versichert, oder?«
Niemand wusste es. LaBréa wählte die Nummer von Capitaine Leconte und teilte ihm die Forderung des Geiselnehmers mit.
»Weiter hat er nichts durchgegeben?«, hakte Leconte nach. »Keine Zeitangabe, keinen Übergabeort?«
LaBréa wurde ärgerlich. Seine Stimme klang unwillkürlich lauter. »Nein, hat er nicht! Sonst hätte ich es Ihnen gesagt! Ich würde gern wissen, wie das Geld beschafft werden soll. Oder gehen Sie und Ihre Dienststelle davon aus, dass ich eine solche Summe bereitstellen muss?«
»Natürlich nicht!«, versuchte Leconte zu beschwichtigen. »Ich werde mich mit dem Polizeipräfekten in Verbindung setzen. Vielleicht kann er das Geld aus einem der Töpfe im Innenministerium bereitstellen.«
»Und die Bank?«
»Die kontaktiere ich natürlich auch.«
»Wann?«
»Sofort, falls ich den Filialleiter erreiche. Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren, LaBréa.«
»Niemand verliert hier die Nerven, Monsieur! Aber die Zeit drängt. Wenn der Kerl mich das nächste Mal anruft, muss ich wissen, ob das Geld bis morgen früh zur Verfügung steht.«
»So schnell entscheidet sich das nicht. Versuchen Sie erst mal, ihn hinzuhalten. Dieser Typ kann sich doch ausrechnen, dass wir jetzt am Abend und über Nacht nicht viel machen können.«
»Das wird ihn wenig interessieren!«
»Rufen Sie mich sofort an, wenn er sich wieder meldet. Und lassen Sie eine Fangschaltung auf Ihre Telefonapparate legen!«
»Ist längst veranlasst.«
»Mehr können wir im Moment nicht tun.«
»Sie hätten ihn nicht entkommen lassen dürfen, Leconte!« Er hörte selbst, wie vorwurfsvoll und verbittert das klang.
»Was hätten wir denn tun sollen?«, entgegnete Leconte scharf. »Es gab keine Gelegenheit, den Kerl auszuschalten. Das wissen Sie, LaBréa, Sie waren doch dabei! Nachdem er den Fluchtwagen gewechselt hatte, haben wir sämtliche Hauptverkehrsstraßen und den Périphérique überwacht. Nach Norden hin, ab der Anschlussstelle Porte des Lilas. Und in südlicher Richtung ab Porte de Vincennes. Wahrscheinlich ist er vorher abgefahren und irgendwo in der Stadt untergetaucht. Ihn dort aufspüren zu wollen wäre wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«
LaBréa sagte nichts. Er wusste, dass Leconte Recht hatte. Doch in seiner Verzweiflung und Ohnmacht suchte er nach einem Schuldigen. Dabei gab es keinen Schuldigen. Alles, was sich seit dem Mittag abgespielt hatte, war eine Aneinanderreihung von Zufällen, in deren Strudel Céline hineingeraten war, ohne dass es hätte verhindert werden können. LaBréa murmelte eine Entschuldigung.
»Tut mir leid, Leconte. Ich bin eben auch nur ein Mensch.«
Auch Leconte klang wieder ruhiger. »Ich kümmere mich um die zweihunderttausend. Ich kann nur hoffen, dass Fünfhunderterscheine in solchen Mengen vorrätig sind. Wenn die Stückelung kleiner ausfällt, gibt das einen Riesenpacken Geld.«
Das Gespräch war beendet, doch LaBréa hatte kein gutes Gefühl. Unsicherheit und Zweifel beschlichen ihn erneut. Würde Leconte mit dem nötigen Nachdruck dafür sorgen, dass die Geldsumme bereitgestellt wurde? Oder plante er, mit einer fingierten Übergabe den Geiselnehmer in die Falle zu locken? Schließlich war es nicht Lecontes Freundin, die sich in der Gewalt dieses Mannes befand. Aber LaBréa hatte keineswegs vor, die Entscheidung über das Leben von Céline anderen zu überlassen. Er fasste einen Entschluss. Er war radikal und konnte ihn seinen Job kosten.
»Ich steige für ein paar Tage aus«, sagte er zu seinen Mitarbeitern. »Sie arbeiten inzwischen weiter am Fall Chambon. Über Handy können Sie mich jederzeit erreichen, aber nur, wenn es ganz wichtig ist!«
»Alles klar, Chef«,
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