Der lange Schatten
sind doch mit der ganzen Sache völlig überfordert und erkennen anscheinend nicht den Ernst der Lage! Tut mir leid, Monsieur, aber auf Sie verlasse ich mich jetzt nicht mehr.«
»Was soll das heißen?«
»Ich versuche, den Kerl vorher zu schnappen.«
Leconte lachte kurz auf.
»Und wie? Ganz allein? Wenn Sie mehr Informationen in der Sache haben als ich, rate ich Ihnen, mir die mitzuteilen. Der Fall liegt in meiner Zuständigkeit, das wissen Sie!«
»Ich pfeife auf Ihre Zuständigkeit! Es geht um das Leben meiner Freundin, und da halte ich bestimmt nicht die Dienstvorschriften ein.«
Ehe Capitaine Leconte noch etwas erwidern konnte, hatte LaBréa das Gespräch beendet. Er setzte seine Fahrt fort und parkte zehn Minuten später den Wagen vor dem Eingang des Gebäudes Boulevard Morland Nummer 17. Hier befanden sich die Büros der Pariser Baubehörde, ein Amt, das dem Bürgermeister der Stadt unterstellt war und in dessen Zuständigkeit die Bearbeitung von Anträgen für Bauvorhaben im gesamten Stadtgebiet lag. LaBréas alter Schulfreund Simon Four war seit drei Jahren der Leiter dieser Behörde. Er wartete bereits vor dem Eingang des Gebäudes, als LaBréa darauf zueilte.
Das Büro lag im zweiten Stock. Simon schloss die Tür auf, knipste das Licht an, zwei helle Neonröhren flackerten auf. Er fuhr seinen Computer hoch und stellte einen zweiten Stuhl neben seinen Schreibtischsessel.
»Dauert einen Moment«, meinte er. Die beiden nahmen Platz und warteten. Dann erschien die Startseite mit dem Logo der Stadt Paris. Simon gab sein Passwort ein.
LaBréas Handy klingelte. Es war Gilles von der Spurensicherung. »Ich hab was Wichtiges, Commissaire. Wo sind Sie gerade?«
»Moment!« LaBréa legte seine Hand auf die Sprechmuschel seines Handys und fragte Simon leise: »Gibst du mir mal deine Festnetznummer hier im Büro?«
Simon kritzelte sie rasch auf ein Stück Papier.
»Gilles? Hören Sie, rufen Sie mich bitte auf folgender Nummer an.« Er gab die Zahlen durch. »Ich möchte, dass meine Handyleitung frei bleibt. Also, bis gleich.«
Kurz darauf klingelte das Telefon auf Simons Schreibtisch. Simon nahm den Hörer ab und reichte ihn LaBréa.
»Ja, was gibt’s?«
»Wir haben aus der zweiten Zahnbürste im Mordfall Luc Chambon DNA isoliert und …«
LaBréa unterbrach ihn brüsk. »Der Mordfall Chambon ist jetzt völlig nebensächlich, Gilles. Ich bin hier gerade an einer wichtigen Sache dran, deshalb …«
Jetzt war es an Gilles, ihn zu unterbrechen. »Das weiß ich doch! Es geht auch nicht um den Mordfall Chambon.«
»Sondern?«
»Die DNA aus der zweiten Zahnbürste am Tatort in der Rue Massillon ist identisch mit der DNA, die wir aus der Gesichtsmaske des Geiselnehmers isolieren konnten.«
Gilles’ Worte wirkten wie ein Paukenschlag. LaBréa war einen Moment vollkommen perplex. Dann überschlugen sich seine Gedanken.
»Was sagen Sie da? Das würde ja bedeuten, dass dieser Kerl sich in der Wohnung von Luc Chambon aufgehalten hat!«
»Richtig. Jedenfalls hat er dort eine Zahnbürste benutzt.«
LaBréa konnte es immer noch nicht fassen. »Und es bedeutet weiterhin, dass dieser Kerl vielleicht auch der Mörder von Chambon sein könnte.«
»Ja, das wäre möglich. Zumal die Schusswunden der beiden Opfer in der Bank ähnliche Merkmale aufweisen wie die Wunde bei Luc Chambon. Das hat mir Dr. Foucart vor einigen Stunden bestätigt.«
»Warum hat sie mich da nicht gleich angerufen?«, entfuhr es LaBréa ärgerlich.
»Ich hatte ihr ja dazu geraten. Aber sie meinte, im Moment würde Sie der Mordfall Chambon nicht interessieren. Und große Kaliber wie .45 ACP gibt es ja öfter. Noch wissen wir nicht, welche Waffe in der Bank benutzt wurde. Erst durch den DNA-Vergleich ist klar geworden, dass der Geiselnehmer aus der Bank in irgendeiner Verbindung zu dem Mordopfer Chambon stand.«
»Das sind eigenartige Zufälle, Gilles. Vor allem wenn man nicht an Zufälle glaubt, so wie ich! Allerdings frage ich mich, welcher Art die Verbindung zwischen den beiden sein könnte? Hat der Kerl mit Chambon zusammengewohnt? Und welches Motiv hatte er, den Mann jetzt zu erschießen?«
»Eine Abrechnung unter Drogenjunkies? Chambon hat doch Crystal Meth genommen.«
»Ja, er schon. Aber ein Typ, der eiskalt einen Bankraub mit Geiselnahme durchzieht? Ist so einer ein Junkie? Ich weiß nicht, Gilles.«
»Wenn er zum Beispiel Crystal nimmt, ist er voller Power und hellwach. Jedenfalls solange die Dosis vorhält.«
»Haben Sie die
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