Der lange Schatten
Material zurück?«
»Auf der Baustelle, wo sie zuletzt gearbeitet hat.«
LaBréa nickte. »Ganz genau!«
Simon schloss die Webseite und öffnete den ersten Ordner mit größeren Bauvorhaben und Siedlungsbauten aus dem Jahr 2007. Die Dateien waren nach Arrondissements geordnet. Nach zehn Minuten stellte sich heraus, dass sie hier nicht fündig wurden. Rasch und konzentriert arbeiteten sie weiter. Nirgendwo im Jahr 2007 tauchte der Name Malin & Fils in den infrage kommenden Arrondissements als Antragsteller einer Baugenehmigung auf.
LaBréa wurde zunehmend nervös. Als Simon den ersten Ordner des Jahres 2005 öffnete, war es zehn nach drei Uhr morgens. LaBréas Augen schmerzten vom ständigen Starren auf den Bildschirm. Er stöhnte. Er hätte gern einen starken Kaffee getrunken, doch dazu war keine Zeit. Vor einer halben Stunde hatte Simon eine Flasche Wasser und zwei Gläser aus einem Schrank auf den Schreibtisch gestellt. Die Flasche war bereits leer. Das monotone Geräusch von Simons tippenden Fingern auf der Tastatur würde LaBréas sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Ordner für Ordner, Antrag für Antrag öffnete Simon, bevor er nach einem kurzen Blick auf den Namen des Antragstellers das Dokument sofort wieder schloss. LaBréa wurde immer mutloser. Die Chancen, auf diese Weise den Standort des Bauwagens der Firma Malin & Fils ausfindig zu machen, schienen zunehmend zu schwinden. Doch welche Möglichkeiten hatte er sonst? Im Wettlauf mit dem Tod klammerte man sich an jede Hoffnung, so aussichtslos sie auch erscheinen mochte. Seit mehr als fünfzehn Stunden befand sich Céline nun in der Gewalt dieses Mörders und Erpressers. Eines Mannes, der möglicherweise in den Morgenstunden einen dritten Mord verübt hatte. In welcher Beziehung er zu Luc Chambon stand, darüber würde LaBréa später nachdenken. Jetzt ging es einzig und allein um Célines Leben. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass dieser Mann seine Drohung wahrmachen würde. Bis morgen früh um acht lief die Frist. Noch viereinhalb Stunden.
»Du, Maurice, ich hab was!« Simons aufgeregte Stimme riss LaBréa aus seinen düsteren Gedanken. »Im 20. Arrondissement. Antrag vom 24. Februar 2005.«
LaBréa beugte sich vor und studierte das Dokument auf dem Bildschirm.
»Résidence Cour Soleil«, las er laut vor. »Residenz Sonnenhof … Bauherr und Baufirma: Malin & Fils. Baugelände: sechs Parzellen südlich von der Passage Montenegro, Katasteramtsnummer soundso …« Fragend blickte er Simon an. »Passage Montenegro: Wo liegt das?«
»Warte mal, ich sehe mir kurz den Geländeplan an.« Simon blätterte durch das Dokument. Gleich darauf hatte er, was er suchte. »Das liegt zwischen Rue Haxo, Rue de l’Orme und der Rue de Belleville.«
LaBréa sprang auf und ging zum Stadtplan. »Hier!« Er stieß mit dem Finger auf die Stelle und drehte sich zu Simon. »Und weißt du, welche Métrostationen gleich in der Nähe liegen? Die Haltestelle Télégraphe und Porte des Lilas der Métrolinie 11!« Er stürzte zurück zum Schreibtisch, setzte sich jedoch nicht wieder auf den Stuhl. »Was steht da noch alles?«, fragte er ungeduldig.
»In dem Vorhaben ging es um den Bau von sechzig Wohnungen in insgesamt fünf Gebäuden«, erwiderte Simon. »Der Antrag wurde vier Monate später vom Bürgermeister genehmigt.« Erneut blätterte Simon in den Seiten des Dokuments. »Baubeginn war im September 2005. Und dann …« Simon deutete mit dem Cursor auf eine Zeile in dem Dokument. »Baustopp am 17. Dezember 2005, wegen Konkurs der Firma Malin & Fils . Da waren gerade die ersten Rohbauten fertig!«
»Und was ist danach damit passiert?«
»Frag mich was Leichteres, Maurice. Auf jeden Fall wurden diese Wohnungen nicht fertiggestellt.«
»Wurden sie wieder abgerissen?«
»Keine Ahnung. Fahr hin, dann siehst du’s.«
»Worauf du dich verlassen kannst!« LaBréas Herz klopfte heftig. Positiver Stress. Er stellt sich immer dann ein, wenn in einer scheinbar aussichtslosen Situation Hoffnung aufkeimt. Komisch, seine Kopfschmerzen waren mit einem Mal wie weggeblasen! LaBréa führte mehrere Telefonate mit seinen Mitarbeitern. Sollte er auch Leconte informieren? Er entschied sich dagegen. Leconte und das SEK würde er erst alarmieren, wenn das Baugelände im 20. Arrondissement sich tatsächlich als heiße Spur erwies und ein starkes Polizeiaufgebot vonnöten war.
Er dankte Simon für dessen Hilfe, hastete zu seinem Dienstwagen und fuhr in rasendem Tempo durch
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