Der Lange Weg Des Lukas B.
ein Reiter den Wagen ein. »Es ist ein Mädchen!«, schrie er schon von weitem. Es war der Lehrer, der steif aus dem Sattel kletterte. »Mathilde hat ein gesundes Mädchen geboren.« Er stand breitbeinig. »Ich habe mir den Hintern wund geritten. Bis man euch aber auch gefunden hat!«
Alle beglückwünschten ihn. Er band eine bauchige Blechflasche vom Sattelknauf, drehte den Schraubverschluss auf und sagte: »Bester Whisky aus Pfarrer McGrees Keller. Trinkt mit mir auf das Wohl der kleinen Johanna.«
Die Flasche kreiste. Als sie endlich bei Jeremy ankam, nahm der nur einen kleinen Schluck und fragte: »Wirklich die Haut durchgeritten, Massa Piet?«
»Ja«, gestand der. »Die Hose klebt mir an den Wundstellen, als ob ich ein Pfund Honig darin hätte.«
»Dann brauchen wir den Whisky«, sagte Jeremy. Der Lehrer sollte bald spüren, dass alter Whisky nicht nur zum Trinken geeignet ist. Jeremy pappte mit lauwarmem Wasser die Hose ein, sodass sie sich von den Beinen ziehen ließ. Dann wusch er die Stellen, an denen das rohe Fleisch sich zeigte, mit Whisky aus. Lenski und Grumbach mussten den Lehrer mit aller Kraft halten, weil er im Schmerz wüst um sich schlug. Jeremy holte aus seinem Gepäck eine Salbendose und strich die Wunden dick ein.
»Du wirst sehen, Massa Piet, morgen ist alles wieder gut.«
Der Lehrer hatte Briefe mitgebracht. Von Bruno Warich aus St. Louis. Dass er die Ankunft seines Bruders erwarte. Dass der Karl Bienmann drauf und dran sei, mit Goldgräbern in den Westen zu ziehen. Dass es für die ganze Kolonne in St. Louis Arbeit genug gebe.
Auch von der Großmutter war Post gekommen. Dass der Krieg seit dem 28. Januar 1871 aus sei. Dass das gegenseitige Abschlachten endlich ein Ende habe. Dass Zattric viel Holz gekauft habe. Dass der Baron sich nach den Amerikafahrern erkundigt habe und sie grüßen lasse. Dass die schwarz-bunte Kuh Isabella genau an Kaisers Geburtstag zwei Kälber geworfen habe. Dass der Pfarrer den ganzen Winter über krank gewesen und immer noch so schwach auf den Beinen sei, dass er die Messe, auf einem Stuhl sitzend, feiern müsse. Dass das ganze Dorf auf die Rückkehr der Männer warte.
An diesem Abend sagte der alte Mann zu seinen Leuten: »Ich werde auf dem schnellsten Wege von Memphis aus nach Liebenberg zurückfahren. Es soll von New York eine Dampferlinie nach Hamburg geben. Aber ich nehme wohl doch besser ein Schiff bis New Orleans und buche dort einen Platz auf einem Dampfschiff.«
»Der schnellste Weg ist das nicht, Vater«, sagte der Lehrer.
»So?«
»Die Eisenbahn fährt von Memphis nach New York, das ist sicher. Von dort aus verkehren regelmäßig Dampfschiffe nach Deutschland. Die brauchen nur sechs bis sieben Tage für die Überfahrt.«
»Nur sechs, sieben Tage? Piet, ist das dein Ernst?«
»Ja, Vater. Ich habe noch vor vierzehn Tagen jemanden gesprochen, der die Reise von Bremerhaven bis Alice-Springs in ganzen zehn Tagen geschafft hat.«
»Ich werde mit dem Zug zur Ostküste und dann mit dem Dampfer fahren«, sagte der alte Mann. »Ich muss nach Hause.«
»Und was ist mit deinem Sohn Karl?«, fragte Döblin.
»Ich kann die Summe zurückzahlen, für die ich gebürgt habe«, antwortete der alte Mann und machte eine Handbewegung, die andeutete, dass er dieses Thema nicht weiter erörtern wollte.
»Ich möchte zu meinem Vater nach St. Louis«, sagte der Junge.
Der alte Mann schaute ihn ungläubig an.
»Du meinst, ich lasse dich laufen?«, fragte er und seine Stimme klang hart.
»Ich möchte gern nach St. Louis«, wiederholte der Junge.
»An den Ohren werde ich dich nach Hause schleppen, wenn es sein muss. Ich habe deiner Mutter in die Hand versprochen, dass ich dich zurückbringe. Und wenn ich dich hinter mir herschleifen müsste, ich bringe dich nach Liebenberg zurück.«
Er starrte den Jungen wütend an.
»Ich werde auf jeden Fall nach St. Louis gehen«, beharrte der Junge und hielt den Blick des alten Mannes aus. Der stand auf, und ehe es jemand verhindern konnte, schlug er den Jungen, dass er zur Seite taumelte.
»Ich werde dich lehren . . . «, keuchte er und hob wieder den Arm. Der Lehrer trat hinzu und packte den alten Mann, wurde aber zur Seite geschleudert.
»Kommt mir nicht zu nahe«, drohte er, als Gustav Bandilla und Lenski auf ihn zusprangen. Er setzte sich wieder auf den Wagen.
»Der Junge geht mit zurück. Basta.«
Die fröhliche Stimmung war verdorben. Sie legten sich früh zum Schlafen nieder. Am nächsten Morgen musste Georgia
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