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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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getan.«
    »Stark genug bist du ja wieder«, hänselte der Junge ihn schadenfroh. Andreas warf ihm einen wütenden Blick zu und stieg dem alten Mann nach.
    Auch Döblin erklärte sich bereit noch einmal in die Streben zu steigen.
    »Du hast gestern ganz schön getrunken, Andreas«, sagte Döblin. »Hast du einen klaren Kopf?«
    »Immer«, prahlte Andreas. »Und ein Feigling bin ich nicht.«
    Alle sahen zu, wie die drei Männer geschickt in der Verstrebung abwärts kletterten. Döblin und Andreas legten eine Schlinge um das lockere Balkenende und zogen das Seil straff. Der Balken hob sich in die ursprüngliche Lage.
    »Möchte wissen, wer hier so schlampig gearbeitet hat«, knurrte der alte Mann. Er schlug die Holznägel in die Bohrlöcher. Der Balken saß fest.
    »So«, sagte der alte Mann. »Der trägt jetzt seine Last.« Er begann zurückzuklettern. Die Zuschauer klatschten Beifall. Andreas winkte ihnen zu. Er wollte sich ein Stück Kletterei ersparen und pfiff auf einen sicher zu gehenden Umweg. Vielleicht wollte er die Zuschauer zu weiterem Beifall herausfordern. Vielleicht wollte er aber auch nur zeigen, dass er kein Feigling war. Frei über den Abgrund führte ein starker Balken. Zwei Meter musste Andreas gehen, ohne sich irgendwo festhalten zu können. Das war der kürzeste Weg bis zur nächsten Strebe. Andreas setzte seinen Fuß auf das Holz und balancierte Schritt für Schritt vorwärts.
    »Hundesohn«, zischelte der alte Mann leise, als er sich umschaute und sah, dass Andreas in der Mitte auf dem Balken Faxen machte. Der junge Zimmermann warf Kusshändchen zu den Damen, die sich über das Brückengeländer lehnten. Plötzlich stand er ganz steif, reckte sich, versuchte verzweifelt das Gleichgewicht zu halten, riss seine Arme empor und stürzte rücklings von dem Balken hinab in die Schlucht. Kein Schrei ertönte, kein Ruf. Das reißende Wasser schluckte ihn. Nicht ein einziges Mal tauchte er auf.
    Alle standen starr vor Entsetzen. Lenski und Warich kletterten hinunter und halfen Döblin herauf, der sich fest an eine Bohle geklammert hatte und heftig zitterte. »Die Brust«, keuchte er. »Der Atem bleibt mir stehen.«
    Das Gesicht des alten Mannes war wie versteinert. Mr. Cole drückte ihm die Hand und murmelte etwas von Beileid. Er zahlte dem alten Mann den Lohn und den Rest der Prämie, die immerhin noch 1900 Dollar betrug. Dann aber drängte er darauf, dass der Zug bald abfuhr.
    »Wir wollen ihn suchen«, sagte der alte Mann. Der Dolmetscher drängte die Chinesen in den Arbeitszug einzusteigen und zurück nach Chattanooga zu fahren. Aber sie weigerten sich. Hua Wing trat auf den alten Mann zu und sagte in gebrochenem Englisch: »Wir wollen helfen, wir suchen.«
    Der Dolmetscher schimpfte und drohte. Aber alle Arbeiter stiegen mit den Zimmerleuten in die Schlucht und suchten die felsigen Ufer ab. Über die verschiedensten Stellen kletterten sie hinab bis ans Wasser. Sie suchten den ganzen Tag. Von Andreas fand sich keine Spur.
    Der alte Mann ließ am Abend zwei mächtige Balken schneiden und fügte sie zu einem Kreuz zusammen. Der Junge schnitzte auf sein Geheiß hinein:

    »Hier verunglückte der Zimmermann Andreas Schicks, 18 Jahre alt.
    Gott sei ihm gnädig.«
    Als es dunkel wurde, fuhren die Chinesen davon. Der alte Mann drückte jedem die Hand. Sie verbeugten sich nicht nur vor ihm, sondern immer wieder vor allen Zimmerleuten. Später zahlte der alte Mann jedem seine volle Prämie aus.
    »Du hast dich verrechnet, Friedrich«, sagte Lenski verwundert, »wir haben doch für die drei Tage, die wir die Frist überschritten haben, 600 Dollar eingebüßt.«
    »Du sagst es«, antwortete der alte Mann. »Ich habe mich verrechnet. Ich habe gedacht, wir könnten es in drei Wochen schaffen.«
    »Das wollen wir nicht, dass du allein den Schaden trägst«, protes­tierte Döblin. Der alte Mann aber sagte scharf: »Seit wann rechnen die Gesellen die Löhne aus und nicht der Meister? Mischt euch nicht in meine Angelegenheiten, klar?«
    Sie kamen sich ungeheuer reich vor. Döblin trank mehr als gewöhnlich und brabbelte, als er völlig betrunken war, immer wieder: »Warum der junge Kerl? Warum nicht ich?«
    Endlich schwieg er, aber er richtete sich auf und rang nach Luft. Die Augen sprangen hervor und er wurde ganz rot im Gesicht.
    »Lass das Saufen, Döblin«, sagte Warich. »Gehst sonst auch noch kaputt.«
    »Zu Hause haben wir den Rosenkranz gebetet, wenn einer gestorben ist«, erinnerte der Junge sich.
    »Hast

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