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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sie schützen?«
    »Ja, Massa Luke hat ihr seine Pistole geschenkt.«
    »Hoffentlich hat er sie nicht zu früh weggegeben«, sorgte sich der alte Mann und starrte ins Leere. Jeremy wartete geduldig. Nach einer Weile sagte der alte Mann: »Gut, Jeremy. Ich verkaufe dir die Gespanne für dreißig Dollar. Aber du musst mir auch etwas ver­kaufen.«
    »Ich? Was habe ich schon, was ich einem Massa verkaufen kann?«
    »Ich will die Vorderseiten der Schubladen kaufen, Jeremy, die Bilder von dem Küchenwagen. Ich zahle dir dreißig Dollar.«
    Jeremy war überrascht und suchte nach Worten.
    »Du und Georgia, ihr habt gute Arbeit geleistet. Ohne euch wäre es nicht so glatt gegangen.«
    Jeremy hatte sich gefasst und sagte: »Darf ich dir zum Schluss noch einen Rat geben, Massa Bienmann?«
    »Ja, Jeremy. Ich glaube, ich kann einen guten Rat gebrauchen.«
    »Ist eine Geschichte, Massa.«
    »Na, dann los.«
    »Es gibt einen Kaktus in der Wüste, dort vor den Rocky Mountains, weit im Westen. Der ist über und über gespickt mit spitzen, scharfen Stacheln. Wenn du dich dran verletzt, beginnt die Wunde ein paar Tage später zu eitern und macht dich marode. Aber wenn du den Kaktus mit ‘ner Axt aufschlägst, findest du darin einen ganzen Eimer voll Saft. Der schmeckt dir wie frisches, herrliches Wasser. Hat mir ein Indianer gezeigt. Ein Chawnee. Hat er mir gezeigt, als ich vor Durst schon die verdorrten Kakteen blühen sah. Hat mir das Leben gerettet.«
    »Na und?«, fragte der alte Mann und verstand nichts.
    »Schlag dir die Stacheln ab, Massa, schlag sie dir ab.«
    Jeremy duckte sich, als ob er Prügel erwarte, und er schaute den alten Mann furchtsam an.
    »Jeremy«, sagte der alte Mann leise, »Jeremy, tust du mir einen Gefallen?«
    »Ja, Massa, wenn ich das kann?«
    »Sag nie mehr ›Massa‹ zu mir, Jeremy. Sag einfach Friedrich Bienmann zu mir.«
    Georgia, die die ganze Zeit über an dem Herd in der Gaststube gestanden hatte und mit Töpfen hantierte, fasste all ihren Mut zusammen und sagte keck: »Friedrich Bienmann, das Essen ist fertig.«

Döblin und der alte Mann saßen in der Gaststube. Die Wirtin war über einem Wasserglas, das zur Hälfte mit Gin gefüllt war, eingeschlafen. Den Jungen hatte der alte Mann nicht finden können. Er fühlte sich wie zerschlagen. Vom vielen Herumlaufen in den Straßen der Stadt schmerzten ihm die Beine. Er hatte das Abendessen kaum angerührt.
    »Ich habe ja selbst keine Kinder gehabt«, versuchte Döblin den alten Mann in ein Gespräch zu ziehen. »Jetzt habe ich überhaupt keinen Menschen mehr. Ich denke manchmal, der Bienmann, das ist ein harter Mann.«
    Der alte Mann schaute ihn aufmerksam an, antwortete aber nicht.
    »Der Bienmann weiß, dass sein Sohn Karl nicht weit von hier in St. Louis ist, und er will doch nicht hin; will ihm nicht die Hand zum Frieden entgegenstrecken; will seinem Enkel verbieten zu seinem Vater zu gehen; schlägt ihn sogar, weil es den Sohn zu seinem Vater treibt. Ich kann dich wirklich nicht verstehen, Friedrich.«
    »Vielleicht ist der Bienmann zu verstehen, wenn man weiß, dass er sich fürchtet«, sagte der alte Mann leise.
    »Fürchtest du dich vor deinem eigenen Sohn? Glaubst du, er wird dir Vorwürfe machen?«
    »Ich weiß nur, Döblin, er war in all den Jahren hier in den Staaten nicht im Stande das Geld zusammenzukratzen, das er dem Baron schuldet. Nun stell dir vor, es kommt sein Vater zu ihm, an die sechzig Jahre alt, die Knochen voller Rheuma, und sagt zu ihm, einem Mann in den besten Jahren, ›Junge‹, sagt er, ›ich bin zwar erst knapp zwei Jahre in diesem Land, aber ich hab das Geld für dich verdient, kann deine Schulden bezahlen. Komm mit nach Hause.‹«
    »Und wovor, Friedrich, musst du dich dabei fürchten?«
    »Davor, dass er es annimmt, Döblin. Dass er den Rest von Stolz und Ehre verkauft, den Rest, den einer braucht, wenn er ein Mensch sein will.«
    »Stolz und Ehre! Das hätte ich mir denken können, Friedrich Bienmann. Du steckst so voller Stolz und Ehre, dass nichts mehr anderes in deiner Brust Platz hat. Ich sag dir, ich würde an deiner Stelle nicht eine Sekunde zögern, wenn mein Sohn in St. Louis lebte. Ich würde heute Abend noch zum Bahnhof rennen und nichts wie rein in den nächsten Zug.«
    »Ich hör den Blinden von den Blumen reden, Döblin«, fiel der alte Mann ihm scharf ins Wort. »So redet einer, der, wie er selbst sagt, keine Kinder in die Welt gesetzt hat.«
    Döblin fühlte sich getroffen und schwieg. Er wollte sich

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