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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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nicht. Er schaute die Frau unsicher an.
    »Ist ein Fuhrmann aus dem Polnischen«, sagte die Frau. »Er ist eine redliche Haut. Brauchst dich vor ihm nicht zu graulen. Er hat ein bisschen viel getrunken. Willst du zu ihm ins angewärmte Bett oder lieber in das andere?«
    Der Junge zeigte auf das andere Bett. Die Frau wartete geduldig mit dem Licht, bis er sich die Oberkleider abgestreift hatte, und drückte ihm das schwere Oberbett fest in den Rücken. »Das hält gut warm«, sagte sie. »Daunen aus Masuren lassen keine Kälte durch.«
    Mit ihr verschwand das Licht. Der halbe Mond ließ die vereisten Scheiben des kleinen Fensters glitzern. Der Fuhrmann machte mehr Lärm als die lange Brettersäge bei den Zimmerleuten und der Baum, an dem er unentwegt sägte, schien eine knorrige Eiche zu sein. Der Junge schlief endlich darüber ein und merkte kaum, dass der alte Mann zu ihm ins Bett schlüpfte.
    Der Lehrer wirkte am nächsten Morgen ziemlich unausgeschlafen, aber er beschwerte sich nicht. Wie hätte der Fuhrmann, ein mittelgroßer Kerl von über zwei Zentnern Gewicht, ihm auch genügend Platz in dem Bett einräumen können?
    Die Pferde griffen frisch aus und ließen sich durch das Hügelland, durch das sie den Schlitten ziehen mussten, nicht aus ihrem zügigen Trab bringen.
    Es war eigenartig, dass der Lehrer die Wölfe als Erster hörte. Er war wegen der schlechten Nacht in eine Ecke des Schlittens gekrochen und hatte sich den Pelz über den Kopf gezogen. Plötzlich schob er das Schaffell hastig zurück, sprang auf und flüsterte: »Da! Hört ihr’s?«
    Das ferne, lang gezogene Heulen kannte der Junge aus den vergangenen Wintern. Aber es ist etwas anderes, ob die Wölfe um das Dorf herumstreifen und die Türen verriegelt sind oder ob man ihnen im offenen Schlitten begegnet. »Sie sind noch weit«, sagte der alte Mann. »Aber halten wir zur Sicherheit die Büchse bereit.« Er holte die Waffe aus dem Futteral und lud sie. Der Lehrer wühlte in seinem Reisesack und zog eine langläufige Pistole heraus.
    »Können Sie denn mit so was umgehen?«, zweifelte Mathilde.
    »Der alte Fritz hat zwar gesagt, dass die Niederrheiner nicht zu Soldaten taugen, aber er und seine Nachfolger haben sie doch in ihre Heere geholt«, lachte der Lehrer. »Dort habe ich gelernt, wie man mit der Pistole schießen muss. Ich habe nie gedacht, dass das wirklich mal von Vorteil sein könnte.«
    »Sie reden immer so daher, Piet van Heiden«, sagte der alte Mann, »als ob Sie nicht viel vom König und seinen Soldaten halten. Das Militär hat doch viel Gutes. Das junge Volk lernt wenigstens Ordnung und sieht ein Stück von der Welt.«
    »Ordnung, Friedrich Bienmann, ist etwas anderes, als Kleider sorgfältig auffalten können und in Reih und Glied zu lernen ein Nichts zu sein.«
    »Und was ist Ihrer Meinung nach Ordnung, junger Mann?«
    »Ordnung, das ist, wenn ich niemals die kleinen Dinge über die größeren stelle. Wenn ich das schaffe, dann weiß ich, was Ordnung ist.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel nicht Geld über die Menschen, wie es bei den Arbeitern auf den Gütern und in den Fabriken so oft geschieht.«
    »Weiter.«
    »Sie wissen, dass ich aus Xanten stamme. Dort hat schon vor vielen hundert Jahren ein Mann den Gehorsam, den der römische Kaiser verlangte, nicht höher gestellt als sein Gewissen. Dafür wurde er getötet. Aber das Grab ist von den Menschen nicht vergessen worden. Unser Viktordom ist sein Grabstein.«
    »Lange her«, spottete der alte Mann.
    »Darf ich heute Ruhe über Gerechtigkeit setzen oder den König von Preußen über das eigene Denken?«, fragte der Lehrer scharf.
    »Sie sind einer von denen, Piet van Heiden, die darüber jammern, dass die Revolution von 1848 im Sande verlaufen ist, wie?«
    »Ich jammere nicht darüber, Friedrich Bienmann, ich will helfen, dass das Volk zu seinem Recht kommt.«
    »Rebellen leben nicht lange«, sagte der alte Mann. »Sie können es am heiligen Viktor ja sehen.« Er deutete mit dem Büchsenlauf zum Walde hinüber, der sich jenseits eines breiten Schneefeldes hinzog.
    »Da sind sie«, rief der Junge und trieb die Pferde zu schnellerem Lauf.
    In langer Reihe zogen die grauen Schatten dahin, viel zu weit noch für einen Büchsenschuss. Allmählich schob sich der Wald dichter an die Straße heran. Die Wölfe schienen sich Zeit lassen zu wollen. Sie rannten in gleicher Höhe mit dem Schlitten am Waldrand entlang und kamen dem Verlaufe des Waldsaumes entsprechend nur langsam näher.

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