Der Lange Weg Des Lukas B.
sehr begeistert von dieser unerwarteten Einquartierung. »Das Volk vom Land bringt Flöhe ins Haus«, knurrte er.
»Dagegen weiß ich ein Mittel«, tröstete ihn der alte Mann, zog eine Flasche Schnaps aus dem Reisegepäck und schenkte dem Kutscher ein Wasserglas voll ein. Der roch daran und sein Gesicht wurde freundlicher. In einem langen Zug stürzte er den Schnaps durch die Kehle und schüttelte sich wohlig.
»Donnerwetter! Ihr braut bei euch einen Schnaps, der brennt noch, wenn er schon im Magen ist. Hast Recht, alter Mann, dabei können sich die Flöhe nicht halten.«
Er wurde beim zweiten Glas gesprächig und nach dem dritten versprach er, dass er die Fremden am folgenden Tag schon zu den richtigen Schifffahrtskontoren bringen wolle. »Ob aber ein Schiff nach Amerika fährt, das weiß ich nicht«, sagte er.
»Ich möchte das Meer sehen«, sagte der Junge.
»Ist noch ein ganzes Stück zu laufen«, warnte ihn der Kutscher.
Mathilde bot sich an mit dem Jungen zu gehen. Sie ließen sich den Weg genau beschreiben und standen schließlich am Strand. Der Junge sprach kein einziges Wort. Er schaute auf die graue, unendliche Wasserfläche, die mit tausend weißen Schaummützen übersät war. Der Wind pfiff ihnen ins Gesicht. Mathilde hatte ihr Kopftuch losgebunden und die roten Haare wehten. Sie stieß den Jungen schließlich an und sagte: »Luke, wir müssen gehen.«
Sie rannten fast den ganzen Weg zurück.
Der alte Mann kehrte am Mittag des nächsten Tages erschöpft in das Kutscherhäuschen zurück. Er hatte verschiedene Schifffahrtskontore aufgesucht.
Er musste lange laufen, bis er einen Amerikasegler gefunden hatte. Der niedrigste Preis, den man ihm für eine Überfahrt im Zwischendeck genannt hatte, betrug 38 Taler.
»38 Taler«, sagte er, »die werden von den meisten meiner Leute nur schwer aufzubringen sein. Außerdem können wir nicht wie Bettler in die Staaten kommen. Wir brauchen für die ersten Wochen Geld, damit wir dort nicht vor die Hunde gehen. Aber woher nehmen und nicht stehlen?«
Mathilde hatte aus dem Herrenhaus das Mittagessen herübergetragen.
»Mit einem schönen Gruß der Frau Baronin.«
Der alte Mann stocherte unlustig in seinem Teller herum.
»Mehr war nicht zu erfahren?«, fragte der Junge.
»Doch, einiges mehr schon. Das Schiff, mit dem wir segeln können, heißt ›Neptun von Danzig‹. Soll eine Bark sein, die unter einem guten Kapitän seit Jahren als einziges Schiff von Danzig aus die Amerikaroute befährt. Im Hafen können wir es morgen besichtigen.«
»Darf ich auch mit auf das Schiff, Vater?«, bat Mathilde. »Ich möchte gern wissen, wie ein Segler von innen aussieht.«
»Von mir aus kannst du mitgehen. Aber wo steckt der Lehrer? Hat er sich noch nicht wieder sehen lassen?«
»Nein. Er ist zu Freunden gegangen. Wir sollen nicht vor morgen früh mit ihm rechnen.«
Der alte Mann legte sich auf die Bank und versuchte ein wenig zu schlafen. Durch das Fenster drang der Lärm der Straße und störte ihn. Mathilde wollte ihre Hilfe in der Küche des Herrenhauses anbieten und lief hinüber.
Der Junge hatte am Morgen die Pferde versorgt und auf Geheiß des Kutschers die Ställe ausgemistet. Jetzt wollte er sich ein wenig auf der Straße umsehen. Er traute sich jedoch nur so weit weg, dass er das Haus nicht aus den Augen verlor.
Später schlug der alte Mann ihm vor: »Gehen wir, Luke, und sehen uns in der Stadt ein wenig um.«
Dem Jungen war nach einer Stunde der Kopf ganz taub. Diese vielen Geschäfte! Aus den Kneipen drang schon am hellen Nachmittag der Lärm. Herrliche Schlittengespanne jagten durch die Straßen, einige davon vierspännig. Die Frauen waren keineswegs einheitlich gekleidet, wie er das aus Liebenberg kannte. Zwar hatten sich viele auch hier dunkle Wolltücher bis tief ins Gesicht gezogen, aber es gab auch andere mit farbigen Hauben oder Hüten auf dem Kopf und in langen Pelzmänteln, mit Stiefeln aus feinem rotem oder braunem Leder an den Füßen und bunten Seidentüchern um den Hals. Auf dem Pferdemarkt war nur wenig Betrieb. Der alte Mann schaute einigen Gäulen ins Maul, prüfte ihr Alter an den Zähnen, betastete die Sehnen an den Beinen und erkundigte sich nach den Preisen.
»Nicht schlecht«, sagte er mehrmals. Da sprach ihn ein Mann mit einer braunen Fuchskappe auf dem Kopf an und sagte: »Herrchen, kaufen Sie in Danzig niemals Pferde am Nachmittag. Lauter Klepper zu dieser Zeit hier auf dem Markt. Kommen Sie morgens um acht. Dann werden Sie
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