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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Die Straße führte durch einen Hohlweg.
    Der alte Mann nahm seine Büchse hoch. »Fahr zu, Luke«, rief er. »Der Hohlweg nimmt uns die Sicht. Wenn sie von oben kommen, wird es gefährlich.«
    »Nimm das, Mathilde«, sagte der Lehrer und zerrte unter der Sitzbank eine Axt hervor.
    »Nehmen Sie auch die anderen heraus«, befahl der alte Mann.
    Der Hohlweg zog sich lang hin. Als sie endlich wieder freie Sicht hatten, war der Wald nur noch vierzig Schritt entfernt. Sie konnten das Rudel jetzt deutlich erkennen. Rund zwanzig Tiere liefen in langer Reihe daher.
    »Halt an«, sagte der alte Mann.
    Der Junge hatte Mühe die Pferde zum Stehen zu bringen. Die Wölfe äugten zwar zu ihnen herüber, aber sie verhielten ihren Lauf nicht. Gespannt verfolgten die Schlitteninsassen, wie das Rudel weit vor ihnen die Straße überquerte und in einer Waldschneise verschwand.
    Der Junge ließ den Pferden freien Lauf.
    »Warum hast du nicht einem eins aufs Fell gebrannt, Großvater?«, fragte er und war erleichtert und enttäuscht zugleich.
    »Was macht ein mutiger Hund, wenn du ihn mit Steinen bewirfst?«, fragte der alte Mann zurück. »Wird er sich nicht auf dich stürzen?«
    »Warum mögen sie nicht angegriffen haben?« Der Lehrer entlud seine Pistole.
    »Sie finden noch krankes Wild. Sie sind gerade erst aus Russisch-Polen gekommen. Aber wenn der Winter lange dauert, treibt sie der Hunger dazu, auch die Menschen anzugehen.«
    »Wie bei den Webern«, sagte der Lehrer.
    »Was meinen Sie?«, forschte Mathilde.
    »Es gab 1828 in Krefeld, wo mein Vater geboren ist, einen Seidenweberaufstand. Mein Vater ist damals als 18-Jähriger mit auf die Straße gezogen und die ganze Familie auch.«
    »Sie meinen, das war eine Art Revolution?«
    »Das wohl nicht. Es war der Hunger, genau wie bei den Wölfen. Der hat die Leute wild gemacht. Bei uns hat die ganze Familie, auch die kleineren Geschwister des Vaters, an den Webstühlen gearbeitet. Die Webstühle gehörten dem Faktor, dem Fabrikbesitzer. Der ließ auch die Seidenfäden bringen und teilte den Lohn zu. In den zwanziger Jahren war der Preis für die Seide niedrig. Ein Faktor wollte den anderen unterbieten. Trotz eines langen Arbeitstages von zwölf oder mehr Stunden reichte es nicht einmal, um den Hunger zu stillen. Endlich gingen die Weber auf die Straße.«
    »Was geschah mit ihnen? Was erreichten sie?«
    »Sie riefen nach dem gerechten König, dem Vater des Volkes, und wollten von ihm, dass er für einen gerechten Lohn eintrete. Die Antwort des Königs waren die Düsseldorfer Husaren. Er ließ sie ausrücken. Mit dem blanken Säbel haben sie die Weber durch die Straßen gejagt. Das war die Gerechtigkeit des Königs.«
    »Und wie ist Ihr Vater davongekommen?«
    »Er ist nicht schnell genug gelaufen. Sie haben ihn ins Gefängnis gebracht. In unserem Hause wurde von der Polizei alles durchwühlt. Sie suchten nach Waffen und Flugschriften. Sie fanden nur leere Töpfe. Meinen Vater haben sie nach drei Wochen laufen lassen. Er hat sich geweigert zum Faktor zu gehen und ihn um Arbeit zu bitten. Er ist aus Krefeld weggegangen. Er hatte sehr geschickte Hände. In Xanten ist er untergeschlüpft. Ein Drucker hat ihn als Arbeiter eingestellt.«
    Mathilde wollte noch tausend Dinge von dem Lehrer wissen, doch er verstummte mehr und mehr und zog sich schließlich den Pelz wieder über beide Ohren. Sie fuhren bis in die Nacht hinein und fanden in einer Dorfschänke Quartier. In der Gaststube auf einer Strohschütte schliefen sie. Die Pelze aus dem Schlitten dienten als Zudecke. Am Nachmittag des folgenden Tages erreichten sie Danzig. Als der Junge die hohen, schwarzen Steinhäuser sah, das Gewirr der Straßen, die gewaltigen Kirchen, die Kanäle, die Brücken, die tausend Masten der Schiffe, die vielen Menschen, die jagenden Schlitten, da wurde ihm ganz wirr im Kopf.
    »Wie soll ich hier einen tätowierten Matrosen finden, der eine Nixe auf dem Handrücken hat?«, fragte er sich mutlos.
    Mehrmals mussten sie den Schlitten anhalten und um Auskunft bitten, bis sie endlich vor dem prächtigen Haus des Barons von Knabig standen. Ein großes, aus Eisen geschmiedetes Tor führte in einen geräumigen Hof. Sie bekamen zwar den Baron an diesem Tage nicht vor die Augen, aber er ließ ihnen ausrichten, sie könnten die Pferde bei ihm einstellen. Im Kutscherhaus sei Platz genug. Dort könnten die Männer für einige Nächte logieren. Mathilde werde bei den Mägden schlafen können.
    Der Kutscher war zunächst nicht

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