Der Lange Weg Des Lukas B.
ehrenhafte Kapitän nur einmal im Leben«, antwortete der Kapitän. »Kein Schiffsoffizier verlässt sein Schiff, wenn noch ein Hoffnungsschimmer auf Rettung besteht. Dennoch, vor zwei Jahren ist das Rettungsboot einmal benützt worden.« Er lachte und schlug die Plane zurück, die das Boot abdeckte. »Ein blinder Passagier hatte sich darunter verkrochen.«
Mathilde war begeistert von der kleinen Küche, lobte die zweckmäßige Einrichtung und die Sauberkeit und sagte: »Ich hätte gar nicht gedacht, dass eine Männerwirtschaft so ordentlich aussehen könnte. Wenn ich an den Fraß denke, den die Lehrlinge den Männern auf dem Bau oft kochen, dann wird’s mir übel.«
»Das würde Jonas, unseren Smutje, freuen, wenn er es hörte«, sagte der Kapitän und er wurde nicht müde alles zu zeigen und zu erklären. Nur die Kapitänskajüte blieb verschlossen.
Der Lehrer bekannte schließlich: »Jetzt weiß ich erst, was es heißt, wenn man sagt, ein Kapitän sei mit seinem Schiff verheiratet.«
Mittag war schon lange vorüber, als sie sich wieder an Land bringen ließen.
»Schade, mein Fräulein«, sagte der Kapitän beim Abschied, »schade, dass Sie nicht mit uns um die Welt segeln. Man findet selten beim weiblichen Geschlecht ein so ausgeprägtes Interesse an Schiffen.«
Dem stimmte der alte Mann zu und spottete: »Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, Kapitän. Zuvor jedenfalls haben wir nie etwas von Mathildes Zuneigung zur christlichen Seefahrt bemerken können. Ich glaube, sie kann nicht einmal schwimmen.«
»Das kann kein echter Seemann, mein Fräulein«, tröstete der Kapitän das Mädchen. Als er den ungläubigen Blick des Jungen sah, erklärte er: »Schwimmen verlängert nur die Qualen. Wen der Ozean haben will, den schluckt er auf jeden Fall.«
Am Kai trennte sich der Lehrer von den Bienmanns und versprach: »Morgen bin ich pünktlich um acht Uhr zur Abfahrt im Kutscherhaus. Ich gehe zu meinen Freunden.«
»Was mögen das für Freunde sein, die sich in der Nacht treffen?«, murrte der alte Mann. »Ihre Beratungen scheinen das Tageslicht zu scheuen.«
»Piet tut nichts, was nicht richtig ist«, verteidigte Mathilde den Lehrer.
»Piet? Piet? Ist es schon so weit, dass du zu dem Lehrer Piet sagen kannst?«
Doch Mathilde hob ihre Nase ein Stückchen höher in den Wind und antwortete nicht.
Der Lehrer kam früher zurück, als er angekündigt hatte. Gehetzt, blass und mit einer blutigen Strieme quer über dem Handrücken saß er bereits am Tisch, als die anderen am frühen Morgen aufstanden. Er drängte darauf fortzukommen. Alle spürten eine unbestimmte Gefahr. Es gab einen eiligen Aufbruch. Der Kutscher, der im Stall arbeitete, wunderte sich über die Überstürzung. »Brennt es in Liebenberg?«, spottete er.
»Wir haben einen weiten Weg. Sagen Sie dem Baron unseren Dank.«
Gegen acht Uhr hatten sie Danzig schon hinter sich gelassen. Der Lehrer schaute sich wiederholt um. Er atmete erst erleichtert auf, als die Türme der Stadt in der Ferne gänzlich verblasst waren.
»Was ist mit Ihnen, Piet van Heiden?«, fragte der alte Mann.
»Ich glaube, Sie müssen uns einiges erklären.«
»Das ist leichter gesagt als getan«, druckste der Lehrer herum. »Sie sind, Friedrich Bienmann, ein königstreuer Mann. Wenn Sie 1848 nach Berlin gezogen wären, dann sicher nicht, um den König zu zwingen die Demokratie zuzulassen.«
»Nach dem 18. März 1848 wäre ich tatsächlich mit vielen Ostpreußen gemeinsam nach Berlin gezogen, um dem König gegen die Revolutionäre beizustehen. Friedrich Wilhelm IV. war zu nachgiebig. Er hatte dem Militär längst den Rückzug aus Berlin befohlen. Aber seit diesem Tag, Piet van Heiden, sind fast 20 Jahre vergangen. Die Bienmanns sind im Stande dazuzulernen. Heute sehe ich manches anders. Es könnte ja bei uns so sein wie in England. Der König und ein gewähltes Parlament, das wäre doch eine Lösung.«
»Vor allem eine Wahl, jeder eine Stimme, geheim und frei. Und das Recht für die Arbeiter sich zu vereinigen. Dafür treten meine Freunde und ich ein. Und wegen dieser Ideen werden wir bespitzelt.«
»Erzählen Sie mehr, Piet van Heiden. Vielleicht kann ich Ihnen nicht in allem zustimmen. Aber schweigen kann ich gewiss.«
»Geschichten, die dem ganzen Leben eine Richtung geben, sind meist nicht kurz. Deshalb muss ich bei meinem Vater anfangen. Der hatte damals nach den Krefelder Weberunruhen in Xanten Arbeit gefunden und geheiratet. Ich war das fünfte Kind
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