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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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meiner Eltern, der erste Junge. Von Kindsbeinen an hat mich mein Vater mit in die Druckerei genommen. Ich mochte den Geruch der Farben, staunte über den Zauber der schwarzen Kunst, schaute gebannt den Setzern zu und bewunderte die ersten Abzüge der Texte und Bilder. Als ich mit gut sechs Jahren in die Schule kam, waren mir die Buchstaben längst vertraut. Das Lesen bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten mehr. Der Lehrer war klug genug mich nicht in das Glied zu pressen, in dem die anderen Schüler im Gleichschritt vorwärts­ kamen. Während sich ihr Buchstabenhaus allmählich zu füllen begann, durfte ich mit einem Buchstabenkasten Wörter und Sätze legen und die Ergebnisse vorlesen. Für unseren Lehrer stand schon früh fest, dass ich das Zeug zu einem Pfarrer hätte oder doch wenigstens Lehrer werden könnte. Für einen Pfarrer hatte ich als Halbwüchsiger wohl zu viel wirre Gedanken im Kopf. Ich las damals alles, was mir unter die Augen kam. Eingeschlagen hat es bei mir, als ich in der Druckerei eines Tages die Predigten des Bischofs Ketteler las, die er 1848 in Mainz gehalten hat. Mit einem Male wurde mir klar, dass das tausendfache Unrecht, das den Arbeitern widerfuhr, keine von Gott gesandte und unabwendbare Plage ist. Mein Vater bestärkte mich in dieser Ansicht. Oft erzählte er mir von den Webern und ihrem harten Leben, von den wachsenden Industriestädten an der Ruhr und von dem Elend vieler Menschen dort. Schon als Seminarist besuchte ich Arbeiterversammlungen, half bei Gründungen von Arbeitervereinen, druckte mit meinem Vater oft Nächte hindurch Flugschriften, die auf die tausend Ungerechtigkeiten hinwiesen und Abhilfe forderten. Zwar waren bereits seit 1840 in Preußen die Vereinigungen der Arbeiter verboten, aber nicht immer wurde ganz streng darauf geachtet, besonders wenn die Kirche ihre Hand über diese Vereine hielt. ›Die Kirche wird die Arbeiter wohl vor allem dazu anhalten, fleißig und ehrlich zu sein, und wird sie zur Zufriedenheit und Ruhe mahnen‹, dachte des Königs Polizei wohl zu Recht. Ich wurde auf den Tag genau 19 Jahre alt, als in Berlin die Auflösung aller ›Arbeiterverbrüderungen‹, wie sie sich dort nannten, beschlossen wurde. In den folgenden Monaten verschärfte die Polizei die Überwachung. Ich wurde junger Lehrer in der Nähe unserer Stadt und dachte nicht daran, unseren Kampf aufzugeben, nur weil der Wind aus Berlin schärfer wehte. Ein Kaplan war mein bester Gefährte in diesen Jahren. Er kannte Ketteler persönlich und war ein glühender Anhänger des Bischofs von Mainz. ›Wenn Ketteler doch unter den Bischöfen nicht so allein stünde‹, klagte er oft. Seinem schwarzen Rock gelang es nur mit Mühe, mich aus dem Gefängnis herauszuholen, als mich die Polizei eines Nachts mit einer Tasche voller Flugblätter erwischt hatte. Sein Einsatz hat ihm viele Streitereien mit dem Propst von Xanten eingebracht, der Ruhe und Ordnung mehr schätzte als so ein junger Heißsporn.
    ›Du musst weg von hier!‹, hat mir der Kaplan geraten. ›Hier bist du bekannt wie ein bunter Hund. Du weißt, wie die Preußen zu den Katholiken am Niederrhein stehen. Der Propst befürchtet, sie warten nur darauf, uns bei illegaler Tätigkeit zu erwischen. Ich werde mich kaum noch für dich einsetzen können. Ich meine es gut mit dir. Suche dir eine Stelle in einer Großstadt.‹
    Ich folgte seinem Rat und bewarb mich um eine Stelle im Industriegebiet. In der Stadt kam ich in eine größere Schule. Vorsichtiger wollte ich in Zukunft sein, nahm ich mir vor. Aber wie kann man vorsichtig sein, wenn man sieht, wie schon kleine Kinder jeden Tag arbeiten müssen, ja sogar in die Bergwerke einfahren. Kinder, die eigentlich in die Schule gehörten, hatten einen langen Arbeitstag. Vor allem den Zuwanderern blieb, wenn sie überleben wollten, kaum etwas anderes übrig als die Kinder für ein paar Pfennige zur Arbeit zu schicken. Die Eltern waren froh darüber, wenn nur alle eine Stelle bekamen, damit der Hunger nicht in das Haus einkehren konnte. Viele Wohnungen waren schnell gebaut worden, schlecht und teuer. Es gab zu wenig Ärzte, denn die Städte zogen jeden Tag neue Menschen an. Wenn der Vater krank wurde, war die Not groß. Solche Zustände wollte ich nicht hinnehmen. Ich begann wieder den Arbeitern klarzumachen, dass sich das alles nur ändern könne, wenn sie sich zusammenschließen würden. Das ging auch ziemlich lange gut, denn in einer großen Stadt kann man sich leichter verbergen als auf dem

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