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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Gasthaus. Das Beste in der Bruchbude war ein riesiger Kachelofen. Der strahlte eine wohlige Wärme aus und hielt uns die eisige Kälte vom Leib.
    Die Dorfbewohner waren freundlich zu uns. Arbeit gab es genug für Zimmerleute. Unsere Geschichte in Liebenberg fing damit an, dass Großvater, ohne von jemand einen Auftrag erhalten zu haben, den morschen Balken des Ziehbrunnens auswechselte. Es war dies der einzige Brunnen im Dorf. Mit dem Balken hatte es eine besondere Bewandtnis. Im Winter fand sich regelmäßig mit dem ersten Schnee ein Schwarm Wildtauben ein. Zu anderen Jahreszeiten sind das scheue Vögel, die klug den Nachstellungen der Jäger auszuweichen wissen. Nicht der scharfe Frost trieb sie in das Dorf, sondern der Durst war es wohl, der sie an den Brunnen lockte. Die Liebenberger nannten die Vögel zu dieser Zeit unsere Tauben, stellten ihnen mehrmals am Tage in einer flachen Holzschale Wasser zurecht und streuten gelegentlich ein paar Körner. Keiner der Dorfbewohner wäre auf den Gedanken verfallen die Not der Tiere auszunutzen und auf sie zu schießen. Das änderte sich, sobald im Frühjahr der Schnee wegtaute. Tauben zu jagen gehörte dann zu den geheimen Vergnügen vor allem der jungen Burschen im Dorf, ein Vergnügen, von dem der Jagdaufseher vom knabigschen Gut nicht begeistert war, weil der Baron von Knabig allein das Jagdrecht besaß.
    Der mächtige Balken des Ziehbrunnens war der Platz, den die Tauben besonders liebten. Aufgereiht saßen sie dort mit aufgeplus­tertem Gefieder. Einige wurden im Laufe des Winters so zutraulich, dass sie nicht einmal aufflogen, wenn ein Mädchen kam, ihr Joch mit den beiden Eimern von den Schultern hob, gemächlich das längere Ende der Balkenwippe herunterzog, den Eimer an der langen Kette in den Brunnenschacht senkte und schließlich das Wasser heraufzog.
    Großvater hatte einen gewaltigen Balken aus einem dicken Stamm glatt herausgeschlagen. Am hinteren Ende hatte er die volle Breite des Baumes ausgenutzt und eine Vertiefung in das Holz hineingehauen. Eine ganze Woche lang arbeitete er an dieser Mulde in dem Balken. Dann hatte er ein kleines Wunderwerk geschaffen. Quer über die Balkenhöhlung lief eine hölzerne Achse und daran wieder war eine flache Blechschale so kunstvoll befestigt, dass sie sich immer genau in die Waage stellte, wie man den Ziehbalken auch hob oder senkte.
    Unter dem Balkenende verankerte er einen schweren Stein. Tagelang wog er den Baum aus, bohrte dann geschickt das Loch für die Hauptachse, auf der die Wippe sich wiegen sollte, und baute schließlich den brüchigen, alten Balken aus seiner Halterung. Die Tauben flatterten aufgeregt auf, zogen in großen Kreisen hoch über dem Dorf und ließen sich schließlich auf den Dachfirsten der umliegenden Hütten nieder.
    Von fünf Männern wurde der neue Balken in die Halterung gehoben und die Achse eingeführt und verschraubt. Der Ziehbalken lag so im Gewicht, dass das Ende mit dem Stein und der Wasserschale sich ganz sanft herunterneigte. Kette und Eimer wurden befestigt. Großvater rief mich, den fünfjährigen Enkel, beim Namen. Ich war damals ein schmächtiges Kerlchen. Er befahl mir: ›Friedrich, zieh einen Eimer Wasser aus dem Brunnen!‹
    Bei dem alten Brunnen hatten die Frauen schon kräftig zulangen müssen, wenn sie den schweren Eimer ans Licht holten. Der neue Balken jedoch war so ausgewogen, dass ich das Wasser mit meiner kleinen Kinderkraft ohne jede Anstrengung emporbringen konnte. Die Dorfbewohner klatschten Beifall. Mit dem ersten Wasser füllte Großvater die Taubenschale am Balkenende. Noch einmal musste ich Wasser aus dem Brunnen ziehen. Die Dorfbewohner drängten sich heran und wunderten sich. Kein Tropfen aus der Trinkschale wurde verschüttet. Sie wiegte sich leicht in ihrer Achse und hielt sich waagerecht, wie man den Balken auch bewegte. Alle im Dorf erkannten, dass sie einen Brunnen hatten, wie es weit und breit keinen zweiten mehr gab. Die Tochter des Dorfschulzen, die schöne Hannah, zog den nächsten Wassereimer hoch.
    ›Mit dem kleinen Finger ist das zu schaffen‹, rief sie und sie strahlte dabei meinen Onkel Johannes an, dass jeder im Dorf es merken konnte, wie sehr die beiden sich gefielen. Onkel Johannes war damals zwanzig Jahre alt, ein hübscher Bursche, breit in den Schultern und mit einem offenen, fröhlichen Gesicht.
    Die Leute standen noch in der Kälte und bewunderten das Werk, stampften mit den Stiefeln den Schnee und schlugen die Arme, damit sie nicht

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