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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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mit seinem Sohn Karl ähnlich geredet hatte. Er erschrak und verstummte.
    »Vielleicht führt das zum Neptun«, sagte der Lehrer nach einer Weile. Verständnislos schaute der alte Mann ihn an.
    »Na, vielleicht sollten Sie den Luke zur Arbeit an der Galionsfigur heranziehen. Er könnte Ihnen bei der Schnitzerei zur Hand gehen.«
    »Der Luke soll lernen ein guter Zimmermann zu werden und seine Zeit nicht verschwenden mit so was.«
    Er gab dem Jungen die Hölzer zurück und stapfte ärgerlich bis an die Reling.
    »Das hätte ich Ihnen vorher sagen können«, sagte der Junge, zuckte die Achseln und trug die Hölzer ins Steerage zurück. Der Lehrer stellte sich neben den alten Mann. Über den Wasserspiegel segelten Schwärme von fliegenden Fischen. Zehn, fünfzehn Meter weit schnellten sie sich durch die Luft, ehe sie wieder in das Meer eintauchten. »Was treibt sie ihr Element zu verlassen?«, sprach der Lehrer wie zu sich selbst. »Niemand weiß es. Aber wer wird ihnen deshalb die Segelflossen abschneiden, weil sie in der Luft nichts zu suchen haben?«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der alte Mann.
    »Irgendeine Sehnsucht scheint in diesen Fischen lebendig zu sein, eine Sehnsucht ihr Element zu verlassen, wie ein Vogel zu fliegen, ein kleines Stückchen wenigstens. So stelle ich mir das auch bei Ihrem Sohn vor, Meister Bienmann. Aber Sie haben ihm die Flügel gestutzt, wieder und wieder. Bis er es schließlich nicht mehr ausgehalten hat und seiner Sehnsucht folgte.«
    »Was wissen Sie von meinem Sohn Karl?«, wies der alte Mann ihn schroff zurück. Er wandte sich ab und starrte auf das Meer.
    »Nicht viel weiß ich von ihm«, gab der Lehrer zu. »Aber ich sehe, wie Sie dem Jungen die Flügel zu stutzen beginnen.«
    »Lassen Sie mich in Ruhe, Piet. Ich bin müde vom vielen Grübeln, wie das mit Karl alles gekommen ist. Aber Sie machen es sich mit Ihrer Antwort zu leicht, wenn Sie mir, dem ältesten Esel, die schwersten Säcke auf den Buckel laden.«
    »Lassen Sie den Jungen wenigstens in seinen freien Stunden mit an der Neptunsfigur schnitzen«, drängte der Lehrer. »Die Zimmerei braucht ja deswegen nicht zu kurz zu kommen.«
    »Bei einem jungen Baum musst du die Äste abschneiden, die keine gute Frucht versprechen. Wildwuchs«, versuchte der alte Mann sich zu rechtfertigen.
    »Vielleicht gibt es außer bei der Zimmerei auch noch anderswo gute Früchte?«, sagte der Lehrer leise.
    Der alte Mann ließ ihn stehen und ging ins Steerage. In der Koje lag der Junge mit verschlossenem Gesicht.
    »Was gibt’s?«, fragte der alte Mann.
    »Wütend bin ich auf den Lehrer.«
    »Du auch?«, fragte der alte Mann. »Warum bist du wütend auf ihn? Er hat sich für dich eingesetzt. Jedenfalls so, wie er’s versteht und von der Zimmerei hat er keine Ahnung.«
    »Ich wollte dir die Arche schenken, wenn sie fertig ist. Nun ist alles verdorben.«
    »Ich würde mich sehr über das Geschenk freuen«, sagte der alte Mann. »Die Verbindungen für solch eine Arche sind nämlich ziemlich schwierig.«
    Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Die Schnitzereien gelingen dir gut, Junge, wie machst du das nur? Wer hat dir das gezeigt?«
    Der Junge lachte und antwortete: »Gezeigt, Großvater? Niemand hat’s mir gezeigt. Die Tiere habe ich alle im Kopf. Soll ich dir vormachen, wie es geht?«
    »Nein«, wehrte der alte Mann ab. »Nicht heute. Vielleicht ein andermal. Außerdem willst du mich mit dem Geschenk überraschen.«
    Wieder verstummte er und schien angestrengt nachzudenken. »Was meinst du«, fragte er schließlich, »würde es dir Spaß machen, mir bei dem Neptun da draußen zu helfen? Er will und will nicht aus dem Baumstamm heraussteigen. Vielleicht müssen wir zu zweit darangehen?«
    »Meinst du das wirklich, Großvater?«
    »Ja, Luke, ich meine das wirklich. Aber ich will es dir gleich sagen, Luke, Bürschchen, die Schnitzerei mag gut und schön sein. Wie bei den fliegenden Fischen. Aber die Zimmerei, Junge, die Zimmerei mit ihren Bohlen und Balken, das ist das Wasser, in dem du schwimmen musst.«
    »Wie bitte?«, fragte der Junge verdutzt. Hatte die Hitze die Gedanken des alten Mannes verwirrt?
    »Ach, lassen wir das!«, murrte der alte Mann. »Der Lehrer macht mich mit seinem Geschwätz noch ganz verrückt.« Er nahm die Hölzer des Jungen noch einmal eins nach dem anderen in die Hand und betrachtete sie.
    »Trug mein Vater eigentlich genauso einen goldenen Ring im Ohr wie du?«, fragte der Junge.
    »Selbstverständlich.

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