Der Lange Weg Des Lukas B.
Liebenberg jeden Tag einen Hahnenschrei früher weggeht, das haben wir im Dorf immer schon gewusst.«
»Aber warum das so ist, warum!«, rief der Lehrer.
»Na, weil es allmählich Herbst wird«, sagte Franek. Der Lehrer gab es auf.
»Statt über Sonne, Krebse und Wendekreise zu reden«, sagte Franek Priskoweit, »sollten Sie mal lieber ein wachsames Auge auf Mathilde halten.«
»Wieso?«, lachte der Lehrer. »Rechnest du dir immer noch eine Chance aus?«
»Ich will ja nichts gesagt haben, Piet van Heiden, aber die Mathilde hält sich oft in der Kajüte beim Kapitän auf, nicht?«
»Halte dein ungewaschenes Maul«, fuhr der Lehrer ihn an. »Willst ihr vielleicht etwas anhängen, wie? Bist nur wütend, weil du nicht bei ihr landen konntest.«
»Gut«, antwortete Franek, »ich mache den Mund zu, aber Sie, Sie halten Ihre Augen besser auf, wenn Ihnen keine Hörner wachsen sollen.«
Der Lehrer sprang auf und lief zornig zum Vorschiff.
»Nicht so schnell«, rief Warich ihm nach, »sonst trifft Sie bei der Hitze noch der Schlag.«
Der alte Mann hockte unter einem Sonnensegel und starrte auf das Stück Balken, aus dem die Neptunsfigur geschlagen werden sollte.
»Weiß der Kuckuck«, knurrte er, »es ist doch eine andere Sache, ob man einen Kirchturm auf dem Schnürboden in seinen Einzelteilen aufreißt und aus dem Holz schneidet oder ob es sich um eine Galionsfigur handelt. Ich glaube fast, mit mir ergeht’s dem Kapitän nicht besser als mit seinem Charly. In New Orleans hat er immer noch eine nicht einmal halb fertige Riesenpuppe an Deck stehen. Und keiner wird ihr ansehen können, dass ein Neptun draus hervorspringen sollte.«
»Sie schlagen doch kräftig an dem Baum herum, Meister Bienmann, glatte, dünne Späne fliegen nur so«, sagte der Lehrer.
»Viel zu dünn sind die Späne, Piet van Heiden. Aber so gewinne ich Zeit.«
»Zeit? Wozu wollen Sie Zeit gewinnen?«
»Na, um mich darum herumzudrücken, dem verborgenen Neptun zu nahe auf die Haut zu rücken.«
»Haben Sie, Meister Bienmann, schon gesehen, was der Luke mit dem Holz macht, aus dem er die Modellbalken schneiden soll?«
»Was soll er schon damit machen? Ich sehe mir seine Arbeit ja jeden Tag an. Zapfen und Zargen schafft er schon ganz ordentlich. Bis wir in den Staaten Langholz unter Säge und Beil haben, hab ich ihm die wichtigsten Verbindungen beigebracht.«
»Zeigt er sich anstellig?«
»Na ja. Für einen Lehrling macht er seine Sache gut. Wenn es so weitergeht, kann er seine Probezeit bald beenden und wir können ihm den Ohrring geben. Aber sagen Sie ihm das nicht. Er wird sonst übermütig.«
»Sie wissen also nicht, was er mit den kleinen Balken macht, wenn Sie sie kontrolliert und für gut befunden haben?«
»Ich hoffe, er legt sie sich unter sein Kopfkissen, damit ihm die Schnitte in Fleisch und Blut übergehen.«
»Luke!«, rief der Lehrer laut über das Deck.
Der Junge schlenderte heran.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»Zeige deinem Großvater die Balken, die du geschnitzt hast.«
Der Junge wurde rot.
»Na, mach schon«, sagte der Lehrer. Unschlüssig stand der Junge mit finsterem Gesicht da.
»Ich möcht die Hölzer sehen, Luke, lauf und hol sie her«, befahl der alte Mann.
Der Junge stieg ins Steerage hinab und kam nach einer Weile mit einem kleinen Bündel von Balkennachbildungen wieder heraus. Etwas ängstlich reichte er die Holzstücke dem alten Mann. Das waren nun nicht mehr die Balken, deren genau zugeschnittene Verbindungen an den Enden der alte Mann die ganzen Tage über mit scharfen Augen angeschaut und begutachtet hatte, sondern es zeigte sich an jeweils einer Längsseite der Balken eine hauchzarte Reliefschnitzerei. Der alte Mann schaute sich das lange an. Eine Fülle von Tierpaaren war kunstvoll eingeritzt, die schwerfälligen Elefanten, die zierlichen Rehe, das schnäbelnde Taubenpaar, die spielenden Jungfüchse, Hirsch und Hirschkuh, Hahn und Henne.
»Was soll das?«, fragte der alte Mann barsch.
Der Junge schluckte. Dann stieß er hervor: »Ich wollte aus den kleinen Balken eine Arche Noah bauen. Alle Tiere sollten . . . «
»Schnickschnack«, maulte der alte Mann. »Du scheinst viel überflüssige Zeit zu haben.«
»Ich mach’s, wenn die anderen in der Sonne liegen«, verteidigte sich der Junge.
»Wer ein Zimmermeister werden will, der muss immer mehr tun als die, die da herumfaulenzen. Wohin soll so was führen?«
Der alte Mann wollte gerade »brotlose Künste« sagen, da fiel ihm ein, wie oft er
Weitere Kostenlose Bücher