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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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und der Junge arbeiteten schon tagelang an der Galionsfigur. Es sah aus, als ob sie in ihrem ganzen Leben nichts anderes zu tun gehabt hätten als miteinander Figuren aus dem Holz zu schlagen. Der alte Mann führte sein Beil wieder sicher und seine Schläge waren voller Kraft. Der Junge beschrieb mit Gesten und Worten, wie er sich Neptun vorstellte. Wenn er dem alten Mann voll Eifer die Haltung des Kopfes erläuterte, die Stellung der Arme oder den Platz für den Dreizack andeutete, dann war es dem Alten, als ob er für Augenblicke den lebendigen Neptun durch das Holz schimmern sehe. Bald ließen grobe Umrisse die endgültige Form des zukünftigen Werkes erahnen.
    »Schluss für heute«, sagte der alte Mann. Der Schweiß rann ihm über den Rücken. Er legte sein Werkzeug zusammen und ging auf das Vorderdeck. »Ich mache weiter«, rief ihm der Junge nach. Mit Stemmeisen und Holzklöpfel arbeitete er die feineren Strukturen aus und ganz zuletzt gab er mit dem Messer, das der alte Mann ihm geschenkt hatte, den einzelnen Teilen den letzten Schliff. Das Gesicht des Meeresgottes war am Tage zuvor schon fertig geworden. Die gewölbte Stirn wurde von einer tiefen, senkrechten Falte über der Nasenwurzel gespalten, die weit geöffneten Augen wirkten lebendig, weil der Junge in die Augäpfel auf Anraten des Lehrers an Stelle der Pupillen tiefe Löcher in das Holz gebohrt hatte. Die Nasenflügel blähten sich über einem breiten, halb geöffneten Mund.
    »Wie eine wirkliche Götterstatue«, lobte der Lehrer.
    Der zweizipflige Bart hielt den Jungen lange auf, weil er voller Energie und Einfälle allerlei Meeresgetier zwischen den Haaren hervorzauberte: schuppige Fischchen, Schnecken mit gedrechselten Gehäusen, Muscheln, fünfzackige Seesterne und Meer­pferdchen. Der Junge arbeitete wie besessen. Er hatte in den ersten Tagen die Zähne zusammenbeißen müssen, denn große Blasen waren ihm in der rechten Handfläche aufgeplatzt und die wunde Haut brannte wie Feuer. Aber allmählich begannen sich rissige Schwielen zu bilden. Der Schmerz wurde erträglich und verschwand schließlich ganz. Gelegentlich verkrampften sich die Muskeln der Finger, doch er massierte sie dann eine Weile in der heißen Sonne, bis er das Messer wieder fassen konnte.
    Gegen Abend kam der Kapitän, schritt mehrmals rund um die Figur und sagte: »Jawohl! Genau so! Genau so habe ich mir den Kopf vorgestellt. Prächtig!« Er tippte dem Jungen mit zwei Fingern leicht auf die Schulter und wiederholte: »Prächtig.«
    Dann winkte er einen Matrosen heran und befahl ihm: »Hole mir Jonas aus der Kombüse.«
    Der Smutje kletterte an Deck und näherte sich ein wenig brummig. »Sie ließen mich rufen, Sir?«
    »Ja. Dieser Junge darf sich heute Abend eine Sonderration zu essen wünschen, ein schönes Stück Braten, ein weißes Brot oder einen Apfel aus meinen Vorräten.«
    Der Junge dachte an das eintönige Essen, das es Tag für Tag gab, Bohnen mit stark gesalzenem Rindfleisch, Rindfleisch mit Bohnen, schwarzes, schweres Brot und ab und zu eine wässrige Mehlsuppe. Ein Apfel wäre für den Jungen etwas Herrliches gewesen. Er sagte aber: »Am liebsten wäre mir eine Portion Rum, Sir.«
    Der Kapitän traute seinen Ohren nicht und fragte: »Sagtest du etwa Rum, mein Sohn?«
    »Ja, Sir. Ich brauche nötig Rum. Nicht für mich. Ich will ihn eintauschen.«
    »Was bekommt man denn auf diesem Schiff für eine Tasse Rum?«
    »Ich gebe Rum und bekomme Geschichten, Geschichten über Charly.«
    »Den Rest kann ich mir denken«, sagte der Kapitän. »Hendrik ist dein Tauschpartner, nicht wahr?«
    Der Junge nickte.
    »Er säuft sich zu Tode«, murmelte der Kapitän und fuhr dann lauter fort: »Ich hoffe nur, Junge, der alte Segelmacher spinnt dir nicht ein zu tolles Seemannsgarn.«
    »Bestimmt nicht«, versicherte der Junge eifrig. »Hendriks Geschichten über Charly sind wahr.«
    »Na, da bin ich nicht so sicher. Ich höre ihm zwar gerne zu, aber ich hüte mich seine Geschichten für wahr zu halten.«
    »Die Geschichten, die er mir erzählt, sind wirklich geschehen«, beharrte der Junge, aber ganz überzeugt schien er nicht mehr zu sein.
    »Na, dann zu. Jonas, der Junge hat sich eine Tasse Rum verdient. Schenk ihm aus, wenn er sie verlangt.«
    »Aye, aye, Sir. Sollte sich aber lieber Trinkwasser wünschen«, brummte der Smutje.
    »Das Wasser wird allmählich knapp, Jonas, wie?«
    »Knapp und faulig, Sir.«
    »Kommen wir nicht mit dem Rest aus, der in den Fässern ist?«
    »Wenn der

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