Der Lange Weg Des Lukas B.
Wunsch, aus Karl einen Zimmermann zu machen, auch eine solche Hecke gewesen sein kann?«, fragte der Lehrer, der sich in den Schatten der Großluke gestellt hatte.
Der alte Mann und der Junge schauten sich um.
»Handwerk hat goldenen Boden«, erwiderte der alte Mann, kurz angebunden, und ging ins Steerage.
»Haben Sie es gehört?«, sagte der Junge. »Er hat meinem Vater das Leben gerettet. Er hat ihn auf seinem Rücken durch den Sumpf getragen.«
»Er hat ihm das Leben geschenkt, er hat ihn aufgezogen, er hat ihn gerettet. Aber, Luke, er hat ihn nicht mehr loslassen können. Sein ganzes Leben hat er Angst gehabt um seinen Sohn, Angst wie damals auf dem Weg durch den Morast. Er hat ihn sich auf den Rücken gebunden und davon ist Karl niemals ganz losgekommen.«
Der Junge dachte eine Weile darüber nach, ob es stimmen konnte, dass auch der alte Mann Angst hatte. Wenn das so war, dann hatte er jedenfalls gut gelernt seine Angst zu verbergen.
»Ob ich meinen Vater wohl in Amerika wieder finde?«, fragte der Junge leise.
»Luke, Amerika ist ein weites Land. Und wer weiß genau, ob dein Vater nach Amerika gegangen ist.«
»Vielleicht werde ich es bald wissen«, sagte der Junge. »Ich bekomme eine Tasse Rum vom Kapitän. Bald werde ich es sicher wissen.«
Der Lehrer schüttelte zweifelnd den Kopf und warnte den Jungen: »Der Segelmacher ist ein kranker und spinniger Mann. Ich glaube, du darfst nicht alles auf die Goldwaage legen, was er dir erzählt. Für Rum würde er dir sogar weismachen, dass Charly ein Sohn des Königs von Preußen ist.«
»Sie machen immer alles kaputt«, sagte der Junge erschrocken und rannte auf das Vorschiff.
Dreizehn Grad nördlicher Breite, der südlichste Punkt der Reise war erreicht. Drei Tage später glitten an Steuerbord die blauen Schatten der Berge von Guadeloupe vorüber, das erste Land, seit die »Neptun« vor fast drei Wochen die Azoren hinter sich gelassen hatte. Das Schiff segelte in die Karibische See. Schon tagelang blies der Wind stark und gleichmäßig. Die Galionsfigur war fertig. Aber der Junge fand immer noch Stellen, die es zu glätten und zu schleifen galt. Die Zimmerleute bereiteten alles vor, damit der Gott der Meere vorn am Bug unter dem Spriet verankert werden konnte. Sie wollten das schwere Gewicht an Trossen über eine Rolle allmählich hinunterlassen. Jeder aus der Kolonne vertraute darauf, dass die vom alten Mann ausgetüftelte Befestigung durch Bolzen, Federn und Nuten keine Schwierigkeiten bereiten würde. Wenn der Meister sagte »es passt«, dann konnten sie sich darauf verlassen. Der alte Mann hatte sich, in einer Lederschlinge sitzend, mehrmals am Bugspriet abseilen lassen. Er wollte das Kielholz vermessen, den spitzen Winkel des Bugs aufnehmen und die Abweichung von der Senkrechten ausloten. Das war in dem schwankenden Sitz eine harte Arbeit gewesen. Zwar tauchte das Schiff bei der steten Fahrt die Nase nicht mehr wild ins Meer, doch oft genug war der alte Mann für Augenblicke in einer Wolke von Gischt verschwunden und gelegentlich leckten die Wellenkämme bis zu ihm herauf. Wenn er endlich nach Stunden das Zeichen gab ihn wieder an Bord zu hieven war er jedes Mal bis auf die Haut durchnässt.
»Jetzt weiß ich, was es heißt, wenn ein Mann an den Klüverbaum gebunden wird«, lachte er dann. Aber es schien ihm nichts auszumachen. Er konnte messen und berechnen und war in seinem Element. Als er schließlich die Galionsfigur an ihrer Rückseite einkerbte, gab es kein Zaudern bei seinen Beilhieben.
Zweimal hatte er dem Wind und den Wellen laut ein wildes Lied entgegengeschrien.
»Er singt wieder«, sagte Lenski. »Seit ihm der Karl weggelaufen ist, hat er bei der Arbeit nicht mehr gesungen.« Mehrmals hatten sie die Figur mit Leinöl getränkt und das Eichenholz hatte eine warme, braune Farbe angenommen.
»Du hast gute Arbeit geleistet, Luke«, sagte der alte Mann. »Sehr gute Arbeit. Ich hätte mich nicht getraut dem alten Neptun den Bart zu schneiden. Man braucht dabei viel Gefühl in den Fingerspitzen und wenig Berechnung. Das ist nichts für mich. Eines dürfen wir nicht vergessen, bevor wir den Wassergott an seinem feuchten Thron befestigen, wir müssen unser Zunftzeichen ins Holz schlagen.«
Der Junge hatte dem Zeichenschlagen nie besondere Beachtung geschenkt. Er wusste, dass jedes Haus, das der alte Mann gebaut, jede ausgeklügelte Holzverbindung sein Zeichen trug.
Es war der sechseckige Umriss einer Bienenwabe, die einen spitz nach unten
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