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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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gehetzt. Mitten in der Nacht hat er die Glocke am Haus des Arztes fast abgerissen. Es war ein stürmisches, nasses Wetter. Aber der Doktor hat sich gleich angezogen, seine Tasche gepackt und ist noch gerade rechtzeitig gekommen. Du kennst ja die Geschichte.«
    »Ja, Großvater.«
    »War ein guter Arzt, der alte Dr. Stommer. Hat auch mal den Karl gesund gemacht, als keiner mehr einen Pfifferling für ihn gegeben hätte.«
    »Meinen Vater?«
    »Ja. Nur der Karl war damals selber noch ein kleiner Junge. Fünf mag er gewesen sein oder höchstens sechs. Jedenfalls ein Kind noch. Und ging noch nicht zur Schule, damals. Erst sah es aus, als ob der Karl stark erkältet wäre. Großmutter hatte ihn ins Bett gesteckt und einen heißen Ziegelstein mit dazu. Er sollte die Krankheit ausschwitzen. Aber das Kind schwitzte nicht. Selbst der Lindenblütentee trieb keinen Tropfen Schweiß hervor. Stattdessen begann Karl zu husten, tief aus der Brust, und lag mit feuerrotem Kopf zwischen den Kissen. ›Er hat hohes Fieber!‹, sagte deine Großmutter. ›Der Arzt muss her, sonst stirbt er uns unter den Händen.‹
    Nun hatten wir in Liebenberg in jenem Jahr einen schlimmen Winter hinter uns. Es hatte so mächtig geschneit, dass der Schnee beinahe unsere Häuser begraben hatte. Dann kam ganz plötzlich ein Witterungsumschwung. Tauwetter setzte ein. Innerhalb weniger Tage lag unser Dorf wie mitten in einem Sumpf. Es war kein Denken daran, mit dem Wagen nach Ortelsburg zu fahren und den Arzt zu holen. Selbst das Reiten war nicht möglich. Jedes Pferd hätte sich die Knochen gebrochen.
    Wir warteten noch einen Tag. Großmutter machte kalte Wadenwickel, um das Fieber hinunterzudrücken. Gegen Abend wurde es mit Karl so schlimm, dass wir dachten, der Junge müsse ersticken. Da habe ich das Kind in meine Schaffelljacke gehüllt, sodass nur noch Mund und Nase frei blieben, und habe meinem Bruder gesagt, er solle mir den Jungen fest auf den Rücken binden.
    ›Du bringst ihn vollends um‹, hat mein Bruder geantwortet und sich geweigert zu tun, was ich wollte. Deine Großmutter, Luke, begriff, dass der Weg nach Ortelsburg eine letzte kleine Hoffnung bedeutete dem Karl das Leben zu retten. Sie selbst hat mir die leichte Last des Jungen aufgebunden. Es hat Stunden gedauert, bis ich mich durch die Morastwüste hindurchgekämpft hatte und in der Stadt ankam. Der Schlamm reichte mir oft bis an die Hüfte. Ich habe den ganzen Weg über zu Gott geschrien und Lieder vor mich hin geleiert. Er solle mir den Jungen nicht nehmen, habe ich gerufen. Geschworen habe ich, dass ich alles tun wolle, um aus ihm einen guten Menschen zu machen und einen tüchtigen Zimmermann. Als ich schließlich bei Dr. Stommer ankam, bin ich auf der Schwelle vor Erschöpfung in die Knie gebrochen. Sie haben mich ins Haus geschleift, auf einen Strohsack gelegt und mit Decken zugedeckt. Wach geworden bin ich erst, als die Frau des Arztes mich am nächsten Morgen an der Schulter rüttelte. ›Ihr Junge hat es vielleicht geschafft‹ waren die Worte, mit denen sie mich begrüßte.
    Der Arzt hat mir später erzählt, dass das Kind in Schweiß gebadet gewesen sei, als sie es aus dem Pelz geschält hätten. Vielleicht habe die dicke Jacke, das Schütteln und die Wärme meines Rückens bewirkt, was Bett und Wärmestein und Lindenblütentee nicht geschafft haben. Jedenfalls sei das Kind über den Berg. Karl konnte im Hause des Arztes bleiben, denn an einen Rücktransport war bei diesem Wetter nicht zu denken. Fast zwei Wochen hat er noch im Bett gelegen, aber es ging ihm von Tag zu Tag besser. Damals übrigens hat er zum ersten Male Stifte und Papier in die Hände bekommen. Als ich Karl mit dem Wagen abholte, hat er mir zuerst seine Bilder gezeigt. Ich sah nur Kindergekritzel, aber die Frau des Arztes hat gesagt, der Junge habe eine erstaunliche Begabung. Ich muss wohl dumm dreingeschaut haben. Sie zog ein Blatt aus dem Päckchen heraus und reichte es mir. Mit einiger Phantasie erkannte ich ein grünes Pferd und zuckte die Schultern. ›Ein Ross‹, sagte sie. ›Ein richtiges Ross hat er gemalt und ist noch nicht einmal in der Schule.‹ Ich war stolz auf Karl, wie ein Vater eben stolz ist, wenn sein Sohn von den richtigen Leuten gelobt wird. Damals ahnte ich noch nicht, dass das Malen wie eine Dornenhecke zwischen mir und Karl aufwachsen würde, eine Dornenhecke, an der wir uns blutig rissen, jedes Mal wenn wir zueinander wollten.«
    »Haben Sie eigentlich nie daran gedacht, dass Ihr

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