Der Lange Weg Des Lukas B.
zulaufenden Keil einschloss. Mit acht Beilhieben schlug der alte Mann dieses Zeichen zu unterschiedlichsten Zeiten und an den verschiedensten Orten so gleichmäßig, dass ein Ei dem anderen nicht ähnlicher sehen konnte.
»Hatte Vater eigentlich auch ein Zeichen?«
»Natürlich, Luke. Jeder aus unserer Zunft hat eins. Kannst du dich nicht daran erinnern?«
»Nein, Großvater. Ich habe Vater selten mit dem Beil in der Hand gesehen.«
»Stimmt«, bestätigte der alte Mann. »Zu dieser Zeit war er mehr ein Maler und Wirt. Die Bienmannwabe hat er sich gewählt und auch den Keil. Aber er hat von unten einen Keil dagegengesetzt. Als ich ihn fragte, was das zu bedeuten habe, hat er mir gezeigt, dass man aus den ineinander steckenden Keilen ein M für Maler leicht herauslesen konnte.«
Der Junge begann das Zeichen seines Vaters mit dem Messer nachzuritzen, aber der alte Mann schlug ihm das Holzstück aus der Hand.
»Nie darfst du das Zeichen eines anderen nachahmen, Luke. Das bringt Unglück. Es ist schlimmer, als wenn du eine Unterschrift fälschst. Kein Zimmermann würde es dir jemals verzeihen, wenn du ein anderes Zeichen schlägst als dein eigenes.«
»Was soll ich denn für eins wählen, Großvater?«
»Das mußt du selber wissen. Nur die Wabe, die solltest du verwenden. Die zeigt zwischen Moskau und Berlin, dass du zu den Bienmanns gehörst.«
»Ich werde es mir überlegen, Großvater.«
»Viel Zeit zum Überlegen hast du nicht mehr, Junge. Wenn das Wetter ruhig bleibt, dann werden wir morgen die Galionsfigur am Schiffsbug anbringen.«
»Der Segelmacher sagt, die Luft riecht nach Sturm.«
»Dann rate ich dir unseren Neptun zur Vorsicht an den Großmast zu fesseln, Luke. Sonst steigt er noch im letzten Augenblick zu den Fischen ins Meer hinab.«
Der Junge tat, was der alte Mann ihm gesagt hatte, und begann die Galionsfigur an den Großmast zu binden. Der Segelmacher schaute ihm zu und zeigte ihm einen Knoten, der sich immer fester ziehen musste, je mehr Neptun an ihm zerren würde. Später setzten sie sich auf ihren Platz unter die Stagfock. Der Junge drehte sich so, dass er die Figur stets im Auge behalten konnte.
»Wird der letzte schöne Abend vorläufig sein«, sagte der Segelmacher voraus. »Ich spür das raue Wetter in der Brust.«
Er hustete lange und hart. Als der Anfall vorüber war, schloss er erschöpft die Augen und lehnte sich gegen den Fockmast. Seine Nasenflügel flatterten, wenn er Atemluft einsog.
»Ich denke mir ein Zunftzeichen aus«, sagte der Junge. »Man kann auf der ganzen Welt die Arbeit eines Zimmermanns an seinem Zeichen erkennen. Das Zeichen von Großvater ist ein Sechseck mit einem Keil. Haben die Segelmacher auch eins?«
»Nein, Luke. Die Steinmetzen haben eins, hab ich mal gehört. Den Segelmacher erkennt man an seinen Stichen.«
»Und die Maler, Hendrik, haben die Maler kein Zeichen?«
»Doch, Luke, die Maler haben, glaub ich, auch eins. Nehmen meistens die Anfangsbuchstaben von ihrem Namen und schreiben sie auf ihre Bilder.«
Hastig zog der Junge das Medaillon unter seinem Hemd hervor und öffnete es. Genau schaute er die Bilder an.
»Kein Zeichen«, sagte er enttäuscht.
»Manche schreiben ihr Zeichen auf die Rückseite der Bilder«, sagte der Segelmacher.
Vorsichtig löste der Junge den Silberdraht, der die dünnen Glasscheiben über den Bildern festhielt, und hob mit der Spitze seines Messers das winzige Gemälde behutsam heraus.
»Da!«, rief er. »Sieh dir das an, Hendrik! Das ist das Zeichen meines Vaters!«
Hendrik öffnete die Augen einen Spalt und schaute sich das Zeichen an. »Keil in Keil im Sechseck«, murmelte er. »Manchmal erzählen Zeichen ganze Geschichten.«
»Wie meinst du das?«
»Ineinander verkeilt, so war das doch mit deinem Vater und deinem Großvater. Jedenfalls wenn es stimmt, was du mir erzählt hast und was ich vom Lehrer weiß.«
Der Junge hörte nur halb hin. Er war ganz gefangen von einem Einfall, der ihm das Blut in den Kopf schießen ließ. Er wusste jetzt, wie er herausbekommen konnte, ob Charly und sein Vater ein und dieselbe Person waren. Schließlich fragte er leise und scheinbar beiläufig: »Hatte Charly auch ein Zeichen?«
Der Segelmacher zuckte die Achseln.
»Wie soll ich das wissen? Als Charly seine Bilder malte, da hatte ihn der Kapitän längst aufs Achterschiff geholt.«
»Aber die Spielkartenbilder, Hendrik, die hast du doch in der Hand gehabt.«
»Keine Ahnung, Luke, ob sie ein Zeichen trugen. Vielleicht
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