Der Lange Weg Des Lukas B.
hat er eins darauf geschrieben, vielleicht nicht. Ist ja auch lange her.«
»Ich müsste ganz einfach nachschauen«, sagte der Junge.
»Du meinst, der Kapitän lässt einen Naseweis wie dich an seinen geliebten Bildern rumfummeln, wie? Vielleicht erlaubt er dir sogar, dass du ein Bild aus dem Rahmen nimmst, wie? Junge, da kennst du unsern Käpten schlecht. Er wirft dich aus der Kajüte, noch ehe du mit beiden Füßen drinstehst. Die Kapitänskajüte, Junge, das ist so etwas wie das Allerheiligste an Bord.«
»Mathilde kommt jeden Tag hinein«, erwiderte der Junge.
»Viel zu oft«, brummte der Segelmacher. »Sie näht kaum noch an dem neuen Segel. Immer heißt es, der Kapitän braucht mich. Gestern hat sie geprahlt, dass sie nach seinem Diktat sogar ins Logbuch schreiben darf.«
»Sie hat eine schöne Schrift und eine leichte Hand«, sagte Luke.
»Hoffentlich hält sie damit wirklich nur den Federhalter«, sagte der Segelmacher verdrossen.
Der Junge schnitzte mit seinem Messer Rillen in ein Brett. Nach mehreren Versuchen zeigte er dem Segelmacher das Ergebnis.
In das Wabensechseck hatte er ein Y geritzt, dessen senkrechter Balken aber ganz durchgezogen war.
»Sieht gut aus«, sagte der Segelmacher. »Irgendwie kommt mir das Zeichen in dem Sechseck bekannt vor.«
»Ist ein altes Zeichen«, erklärte der Junge.
»Und was bedeutet es?«
»Ich habe es vergessen. Aber der Lehrer hat es uns gesagt. ›Neues Leben‹ oder etwas Ähnliches soll es bedeuten. Ich werde ihn später fragen.«
»Sieht ungefähr aus wie der Riss im Ohrläppchen von Charly«, erinnerte sich der Segelmacher.
»Ein Riss im Ohrläppchen?«
»Ja, deshalb nannten wir ihn auch manchmal ›Schlitzohr‹.«
»Und wie ist der Riss in das Ohrläppchen gekommen?«
»Er hat es mir mal erzählt, Junge. Aber ich kann mich nicht genau darauf besinnen. Meine Zunge kommt mir schon rissig vor, so trocken ist sie. Und du willst doch sicher nicht, dass sie ganz und gar eintrocknet, oder?«
»Ich habe noch eine Tasse Schnaps von Jonas zu bekommen, Hendrik.«
»Schnaps auf der Zunge, Junge, das tut gut. Macht sie geschmeidig, weißt du. Und vielleicht löst der Schnaps auch das Schloss vor der Erinnerungskiste in meinem Kopf. Hol den Schnaps und wir werden sehen.«
Der Junge rannte in die Kombüse, aber dort war Jonas nicht. Er suchte ihn bei der Mannschaft, im Steerage, wagte sich sogar ins Zwischendeck. Aber dort flog ihm schon auf der Treppe ein Stiefel entgegen. Er konnte Jonas nicht finden.
»Wo mag der Koch stecken?«, fragte er den Segelmacher.
»Ich habe ihm gesagt, dass ein Sturm kommt. Verdammt. Er liegt bestimmt im Lagerraum zwischen den Vorräten und hat sich ins Land der schönen Träume begeben.«
»Du meinst, er schläft?«
»Nachgeholfen hat er dem Schlaf, Junge.«
»Nachgeholfen?«
»Ja. Er ist lange auf einem Chinaklipper gefahren. Hat von den Chinesen viel gelernt. Das Kochen zum Beispiel. Aber leider auch viel mehr als das. Manchmal ist er ein richtiger Giftmischer. Vor dem Sturm ist er nicht anzusprechen. Er flüchtet sich mit seiner Angst in den Schlaf. Nicht einmal der erste Steuermann kann ihn daraus wachrütteln.«
»Dann ist’s heute nichts mit dem Rum«, sagte der Junge.
»Na, Geschichten werden auch nicht schlechter, wenn ich sie ein anderes Mal erzähle.«
Der Junge versuchte ihn zu bedrängen, doch von Charly zu erzählen, weil der Rum ihm ja versprochen sei. Aber Hendrik begann wieder zu husten, winkte mit der Hand ab und stieg in die Segelkammer hinunter.
Das Brett mit dem Entwurf für sein Zeichen in der Hand, machte sich der Junge auf die Suche nach dem Lehrer. Er fand Mathilde und ihn an der Achterluke. Sie hockten stumm nebeneinander. Es war zu spüren, dass sie Streit gehabt hatten.
Der Junge reichte dem Lehrer das Holz. Der schaute nur kurz darauf und sagte: »Was soll ich damit?«
»Das ist mein Zimmermannszeichen.«
»Aha. Das Lebenszeichen. Gar nicht schlecht.«
»Das Sechseck, die Bienenwabe, haben alle Bienmanns gewählt.«
»Passt gut zu dem Namen. Passt auch zu den Bienmannsfrauen. Honig und Giftstachel.«
»Mein Vater hatte auch ein Zeichen.«
»Klar. Hat ja auch das Zimmerhandwerk gelernt.«
»Er hat das Zeichen auf seine Bilder gemalt.«
»Ah, ja?«
»Wenn ich wüsste, ob hinten auf den Bildern, die der Kapitän von Charly hat, auch das Zeichen steht . . . «
»Spinn doch nicht Luke«, herrschte Mathilde ihn an. »Wie soll mein Bruder Karl ausgerechnet auf dieses Schiff
Weitere Kostenlose Bücher