Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
jetzt hereinkäme. Sie würde behaupten, Gabriella habe sich bei Daddy beklagt oder versucht, ihn gegen Mommy aufzuhetzen. »Willst du nicht frühstücken?«
Gabriella hätte den Anblick ihrer Mutter nicht ertragen. Vielleicht würde sie nie wieder Appetit verspüren. Das beunruhigte sie nicht. Bei jedem Atemzug brannte ihre Brust wie Feuer, und sie konnte sich nicht vorstellen, nach unten zu gehen und mit ihrer Mutter am Küchentisch zu sitzen, geschweige denn, auch nur einen Bissen hinunterzubringen. »Ich bin nicht hungrig, Daddy.«
Ihre Augen wirkten übergroß, noch trauriger als sonst. Sicher ist sie müde, sagte er sich und ignorierte ihre mühsamen Bewegungen, das verkrustete Blut in ihrem Haar, die geschwollenen Lippen. Wie üblich verschloss er die Augen vor den unangenehmen Tatsachen. »Komm schon, ich backe einen Pfannkuchen für dich.« Als müsste er etwas an ihr gutmachen – als wüsste er sogar,
was
... Aber er musste verdrängen, was Eloise ihr angetan hatte. Sonst wären die Gewissensbisse unerträglich.
Erst jetzt bemerkte er, dass Gabriella einen Pullover über ihrem Kleid trug, ein untrügliches Zeichen für Wundmale an ihren Armen – ein Zeichen, das ihm jedes Mal auffiel, das er natürlich nie wahrhaben wollte. Obwohl sie erst sieben Jahre zählte, verstand sie, dass sie die Eltern nicht mit den sichtbaren Spuren der Prügelstrafen konfrontieren durfte. Der Vater fragte nicht, ob sie fror oder warum sie einen Pullover angezogen hatte. Manchmal trug sie sogar am Strand einen Pullover, ein langärmeliges Hemd oder einen Schal, stets aus den gleichen Gründen. Darüber wurde nie gesprochen. Die Eltern ließen sie einfach gewähren, mit stillschweigender Zustimmung.
»Wo ist Meredith?« Suchend schaute er sich um.
Den Blick gesenkt, unterdrückte Gabriella ein Schluchzen und erinnerte sich an das schreckliche, klirrende Geräusch, das ihr in den Ohren gegellt hatte, als ihre Mutter die Puppe zertrümmert hatte. Den Tod ihres süßen Babys würde sie niemals vergessen oder verzeihen. »Sie ist fortgegangen.«
»Was heißt das?« Diese Frage bereute John sofort, und er beschloss, das Thema nicht weiterzuverfolgen. »Gehen wir hinunter, Schätzchen. Du musst was essen. Bevor wir in die Kirche gehen, haben wir noch eine Stunde Zeit. Also kannst du in aller Ruhe frühstücken.« Hastig verließ er das Zimmer und eilte die Treppe hinab, auf der Flucht vor der tiefen Verzweiflung in den Augen seiner Tochter. Während seiner Abwesenheit musste irgendetwas geschehen sein. Danach wollte er nicht fragen, die Einzelheiten nicht hören. Dieser Tag glich so vielen anderen. Niemals wollte er wissen, was sich ereignet hatte – solange er nicht gezwungen wurde, das Grauen mit anzusehen. Doch nicht einmal dann mischte er sich ein.
Langsam schleppte sich Gabriella die Stufen hinab, hielt sich am Geländer fest und rang angestrengt nach Luft. Ihr verstauchter Fußknöchel, die Arme und der Kopf schmerzten – und alle Rippen, nicht nur die beiden gebrochenen, von deren bedrohlichem Zustand sie nichts wusste. Als sie sich wortlos an den Küchentisch setzte, war ihr vor lauter Schwäche fast übel. Sie hatte die schlimmsten Flecken aus ihrem Bettzeug herausgewaschen, die Bezüge und das Laken in den Wäschebeutel gesteckt und ihr Bett frisch bezogen. Vielleicht würde die Mutter das nächtliche Missgeschick nicht bemerken – hoffentlich nicht ...
»Du bist spät dran«, meinte Eloise, ohne ihren Blick von der Zeitung abzuwenden.
»Tut mir Leid, Mommy«, wisperte Gabriella. Das Sprechen fiel ihr sehr schwer. Aber sie wusste, was ihr widerfahren würde, wenn sie keine Antwort gab.
»Bist du hungrig? Gieß dir ein Glas Milch ein und mach dir eine Scheibe Toast.« Wegen ihrer Schmerzen wollte Gabriella nicht aufstehen. Glücklicherweise kümmerte sich der Vater um ihr Frühstück. Sobald Eloise das bemerkte, funkelte sie ihn ärgerlich an. »Warum verwöhnst du sie schon wieder?« Sie war ihm immer noch böse, aus Gründen, die nichts mit Gabriellas Frühstück zu tun hatten. Aber es störte sie, wenn er irgendetwas für das Kind tat, selbst wenn es nur eine belanglose freundliche Geste war.
»Heute ist Sonntag.« Als würde dieser Hinweis die Frage seiner Frau beantworten ... »Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?«
»Nein, danke, ich muss mich für den Gottesdienst anziehen. Und du auch!« Erbost wandte sie sich wieder zu ihrer Tochter, die beinahe in Tränen ausgebrochen wäre. Wenn sie sich umkleidete,
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