Der lange Weg zur Freiheit
panafrikanischen Kongresses, und ich gehörten. Ich wurde zum Sprecher bestimmt. Wir setzten sofort eine Petition auf, in der wir gegen die unzumutbaren Bedingungen protestierten und unsere sofortige Freilassung forderten, weil unsere Inhaftierung ungesetzlich sei.
Um sechs Uhr erhielten wir Schlafmatten und Decken. Ich glaube nicht, daß Worte den Schmutz und Dreck dieses Bettzeugs beschreiben können. Die Decken waren verkrustet von getrocknetem Blut und Erbrochenem, sie wimmelten von Läusen und sonstigem Ungeziefer, und sie stanken auf eine Weise, als wollten sie die üblen Gerüche des Abflußlochs noch übertreffen.
Nahe Mitternacht sagte man uns, daß wir hinausgerufen würden, doch wußten wir nicht, wozu. Einige Männer lächelten in der Hoffnung auf Erleichterung. Andere wußten es besser. Ich wurde als erster aufgerufen und zum Vordertor des Gefängnisses geführt, wo ich vor einer Gruppe von Polizeibeamten kurz losgelassen wurde. Doch bevor ich auch nur eine Bewegung machen konnte, brüllte ein Offizier.
»Name!«
»Mandela«, sagte ich.
»Nelson Mandela«, erklärte der Offizier, »ich verhafte Sie kraft der Befugnisse, die mir gemäß den Notstandsbestimmungen übertragen sind.« Wir sollten nicht entlassen, sondern erneut verhaftet werden nach den Notstandsbestimmungen, wie wir erst jetzt feststellten. Nacheinander wurde jeder von uns für wenige Sekunden freigelassen und dann wieder festgenommen. Vor dem Notstand war unsere Verhaftung ungesetzlich gewesen, also hatte man uns »freigelassen« und uns dann ordnungsgemäß verhaftet kraft des Notstands, der um Mitternacht in Kraft trat. Wir setzten ein Memorandum an den Kommandeur auf, in dem wir ihn aufforderten, uns unsere Rechte mitzuteilen.
Am nächsten Morgen wurde ich zum Büro des Kommandeurs gerufen, wo ich meinen Gefährten Robert Resha antraf, der verhaftet worden war und vom Stationsleiter verhört wurde. Als ich eintrat, fragte Resha den Kommandeur, warum er mich in der vergangenen Nacht so angefahren hatte. Seine Antwort war die des typischen weißen »Baas«: »Mandela war aufsässig.« Ich erwiderte: »Ich bin nicht verpflichtet, für Ihresgleichen meine Hände aus den Taschen zu nehmen, heute nacht nicht und jetzt nicht.« Der Kommandeur sprang von seinem Stuhl hoch, wurde jedoch von anderen Polizisten zurückgehalten. In diesem Augenblick trat Detective Sergeant Heiberg von der Special Branch ein und sagte in freundlichem Ton: »Hallo, Nelson!« Woraufhin ich zurückfauchte: »Ich bin nicht Nelson für Sie, ich bin Mr. Mandela.« Das Büro stand kurz davor, zu einem richtigen Schlachtfeld zu werden, als man uns mitteilte, daß wir uns nach Pretoria zum Hochverratsprozeß zu begeben hätten. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, doch nach diesen 3 6 Stunden der Mißhandlung und nach der Ausrufung des Notstands hielt es die Regierung noch immer für angemessen, uns nach Pretoria zurückzuschaffen, um ihren verzweifelten, inzwischen offensichtlich überholten Prozeß gegen uns fortzusetzen. Doch wir wurden sofort in das Pretoria-Local-Gefängnis gebracht und dort inhaftiert.
Am 31. März wurde das Verfahren wiederaufgenommen, doch der Zeugenstand war auffällig leer. Anwesend waren die Angeklagten, welche die Polizei nicht unter dem Ausnahmezustand festgenommen hatte. Häuptling Luthuli war mitten in seiner Aussage gewesen, und Richter Rumpff verlangte eine Erklärung für seine Abwesenheit. Man erklärte ihm, der Häuptling sei in der Nacht zuvor in Gewahrsam genommen worden. Richter Rumpff zeigte sich über die Erklärung verärgert und meinte, er könne nicht verstehen, warum der Notstand dem Prozeß im Wege stehen müsse. Er verlangte, die Polizei solle den Häuptling zum Gericht bringen, damit er mit seiner Zeugenaussage fortfahren könne, und vertagte die Verhandlung.
Später erfuhren wir, daß der Häuptling nach seiner Verhaftung tätlich angegriffen worden war. Eine Treppe hinaufsteigend, war er von einem Wärter angerempelt worden, so daß sein Hut zu Boden fiel. Er bückte sich, um ihn aufzuheben, und er erhielt Schläge über den Kopf und ins Gesicht. Es war für uns schwer, damit fertig zu werden. Ein Mann von hoher Würde und großen Verdiensten, ein lebenslang überzeugter Christ und ein Mann mit bedrohlich schwachem Herzen wurde wie ein Stück Vieh behandelt von Männern, die es nicht wert waren, ihm die Schuhe zu schnüren.
Als wir an diesem Morgen in den Gerichtssaal zurückgerufen wurden,
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