Der lange Weg zur Freiheit
Exekutivkomitees wurde er über die Entwicklung auf dem laufenden gehalten. Aber der Häuptling kränkelte, und sein Gedächtnis war nicht mehr das, was es einmal gewesen war. Er rügte mich dafür, daß ich mich mit ihm nicht über die Bildung des MK beraten hätte. Ich versuchte den Häuptling an die Diskussionen zu erinnern, die wir in Durban über die Gewaltanwendung gehabt hatten, doch er erinnerte sich nicht daran. Dies ist mit der Grund dafür, warum die Geschichte in Umlauf ist, Häuptling Luthuli sei über die Bildung des MK nicht informiert worden und er sei strikt dagegen, daß der ANC Gewalt einsetzte. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein.
Ich hatte die Nacht vor meiner Abreise mit Winnie im Haus weißer Freunde in den nördlichen Vororten verbracht, und sie hatte mir einen neuen Koffer gepackt. Sie war besorgt darüber, daß ich das Land verließ, gab sich jedoch wieder einmal stoisch. Ihr Verhalten war gleichermaßen das eines Soldaten wie einer Ehefrau.
Der ANC hatte für mich eine Reise nach Daressalam in Tanganjika zu arrangieren. Von Daressalam würde ich dann nach Addis Abeba fliegen. Der Plan war, daß Walter, Kathrada und Duma Nokwe sich mit mir in Soweto an einem geheimen Ort treffen und mir meine Reisepapiere mitbringen sollten. Dort würde auch Gelegenheit für letzte Besprechungen vor meiner Abreise sein.
Ahmed Kathrada traf zur verabredeten Zeit ein, doch Walter und Duma ließen lange auf sich warten. Ich mußte schließlich anders disponieren, und Kathy gelang es, jemanden aufzutreiben, der mich nach Bechuanaland fahren sollte, wo ich ein Flugzeug chartern würde. Später erfuhr ich, daß Walter und Duma unterwegs verhaftet worden waren.
Die Fahrt nach Bechuanaland war anstrengend, weil ich in doppelter Hinsicht nervös war: wegen der Polizei und weil ich noch nie die Grenzen meines Landes überquert hatte. Unser Ziel war Lobatse an der südafrikanischen Grenze. Die Grenze überquerten wir ohne Probleme, und am späten Nachmittag trafen wir dann in Lobatse ein, wo ein Telegramm aus Daressalam auf mich wartete, daß meine Reise um zwei Wochen verschoben sei. Quartier fand ich bei Fish Keitsing, der im Hochverratsprozeß Mitangeklagter gewesen und inzwischen nach Lobatse gezogen war.
Am Nachmittag traf ich Prof. K. T. Motsete, den Präsidenten der Bechuanaland People’s Party, die hauptsächlich aus Ex-ANC-Mitgliedern gebildet worden war. Jetzt hatte ich unerwarteterweise freie Zeit, die ich zum Lesen, zur Vorbereitung meiner Rede auf der Konferenz und für Ausflüge zu den wilden und schönen Hügel oberhalb des Ortes nutzte. Obwohl ich mich nicht weit außerhalb meiner Heimat befand, hatte ich das Gefühl, in einem exotischen Land zu sein. Oft wurde ich von Max Mloyeni begleitet, dem Sohn eines Freundes aus der Transkei, einem jungen Mitglied des PAC. Es war, als seien wir auf einer Safari, denn wir sahen alle möglichen Tiere, darunter auch eine Gruppe munterer Paviane, denen ich eine Zeitlang folgte, voll Bewunderung für das Militärische ihrer Organisation und ihrer Bewegungen.
Bald gesellte sich Joe Matthews zu mir, der aus Basutoland gekommen war, und ich bestand darauf, daß wir uns schleunigst auf den Weg nach Daressalam machten. Kurz zuvor war in Lobatse ein ANC-Mitstreiter von der südafrikanischen Polizei gekidnappt worden, und ich fand, je eher wir fortkamen, desto besser. Ein Flugzeug wurde gechartert, und unser erster Bestimmungsort war eine kleine Stadt im nördlichen Bechuanaland namens Kasane, strategisch in der Nähe eines Punktes gelegen, wo sich die Grenzen von vier Ländern trafen – Bechuanaland, Nordund Südrhodesien sowie Südwestafrika, wie diese Kolonien seinerzeit hießen. Die Landebahn in Kasane war voll Wasser, doch etliche Kilometer weiter, mitten im Busch, gingen wir auf einem trockeneren Streifen nieder. Der Direktor eines lokalen Hotels holte uns ab, mit Gewehren bewaffnet, und er erzählte, er sei von einer Herde angriffslustiger Elefanten aufgehalten worden. Er saß in einem offenen Geländewagen. Joe und ich setzten uns nach hinten, und ich beobachtete, wie eine Löwin träge aus dem Buschwerk trat. Ich fühlte mich weit weg von den heimatlichen Straßen Johannesburgs; zum erstenmal war ich im Afrika der Mythen und Legenden.
Früh am nächsten Morgen brachen wir auf nach Mbeya, einer Stadt in Tanganjika nahe der nordrhodesischen Grenze. Wir flogen an den Viktoriafällen vorbei und dann über eine Gebirgsregion nach Norden.
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