Der lange Weg zur Freiheit
wir waren entlassen.
Oliver und ich waren verärgert: Da waren wir eigens aus einem anderen Land geholt worden, und er hatte uns mit signierten Exemplaren seines Buches abgespeist? Wir hatten unsere Zeit vergeudet. Kurze Zeit später, als wir im Hotelzimmer waren, klopfte ein Vertreter des Außenministeriums an unsere Tür und überreichte uns einen Koffer. Wir öffneten ihn, und er war mit Banknoten gefüllt. Freudestrahlend sahen Oliver und ich einander an. Aber dann änderte sich Olivers Gesichtsausdruck. »Nelson, dies ist Guinea-Währung«, sagte er. »Außerhalb dieses Landes ist sie nichts wert. Das ist bloß Papier.« Doch Oliver hatte eine Idee: Wir trugen das Geld zur tschechischen Botschaft, wo er einen Freund hatte, der das Geld in konvertierbare Währung umtauschte.
Die Anmut der durch den Hafen von Dakar gleitenden schlanken Fischerboote wurde nur noch übertroffen durch die Eleganz der Senegalesinnen, die in fließenden Gewändern und mit Turbanen auf dem Kopf durch die Stadt segelten. Ich wanderte über den nahen Marktplatz, berauscht von exotischen Gewürzen und Düften. Die Senegalesen sind stattliche Menschen, und ich genoß die kurze Zeit, die Oliver und ich in ihrem Land zubrachten. Ihre Gesellschaft zeigt, wie disparate Elemente – französische, islamische und afrikanische – sich vermischen können, um eine einzigartige, ausgeprägte Kultur zu schaffen.
Auf unserem Weg zu einem Treffen mit Präsident Leopold Senghor erlitt Oliver einen schweren Asthmaanfall. Er weigerte sich, zum Hotel zurückzukehren, und ich trug ihn auf dem Rücken die Stufen zum Präsidentenpalais hinauf. Senghor war über Olivers Zustand sehr besorgt und bestand darauf, daß sein Leibarzt sich seiner annahm.
Ich war gewarnt worden, vor Senghor auf der Hut zu sein, denn Berichten zufolge dienten senegalesische Soldaten bei den Franzosen in Algerien und fand Präsident Senghor die Sitten und den Charme des »Ancien regime« allzu unwiderstehlich. In neu entstehenden Nationen wird die Lebensart früherer Kolonisatoren immer Anziehungskraft ausüben – ich selbst war nicht immun dagegen. Präsident Senghor war ein Gelehrter und ein Dichter; er erzählte uns, daß er Forschungsmaterial über Shaka sammele, und schmeichelte uns, indem er zahllose Fragen über jenen großen südafrikanischen Krieger stellte. Wir gaben einen Überblick über die Situation in Südafrika und baten um militärische Ausbildung und Geld. Senghor erwiderte, seine Hände seien gebunden bis zur Tagung des Parlaments.
Inzwischen sollten wir mit dem Justizminister, einem Mr. Daboussier, über militärische Ausbildung sprechen, und der Präsident machte mich mit einer wunderschönen weißen Französin bekannt, die, wie er erklärte, bei unseren Gesprächen als Dolmetscherin tätig sein würde. Ich schwieg, war jedoch beunruhigt. Es war keine behagliche Vorstellung, über die äußerst heikle Thematik militärischer Ausbildung vor einer jungen Frau zu sprechen, die ich nicht kannte und von der ich nicht wußte, ob ich ihr vertrauen konnte. Senghor spürte mein Unbehagen, denn er sagte: »Mandela, machen Sie sich keine Sorgen, die Franzosen hier identifizieren sich völlig mit unseren afrikanischen Bestrebungen.«
Als wir das Büro des Ministers erreichten, trafen wir im Empfangsbereich einige afrikanische Sekretärinnen. Eine der schwarzen Sekretärinnen fragte die Französin, was sie hier suche. Der Präsident habe sie zum Dolmetschen geschickt, war die Antwort. Ein Streit entspann sich, und plötzlich sah eine der afrikanischen Sekretärinnen zu mir herüber und fragte: »Sir, können Sie Englisch?« Ich sagte ja, und sie meinte: »Der Minister spricht Englisch, Sie können sich mit ihm direkt unterhalten. Sie brauchen keine Dolmetscherin.« Ziemlich gekränkt trat die Französin beiseite, als ich zu dem Minister ging, der versprach, alle unsere Bitten zu erfüllen. Am Ende versorgte uns Senghor zwar nicht mit dem, worum wir gebeten hatten, doch er stattete mich mit einem Diplomatenpaß aus und bezahlte unsere Flüge von Dakar zu unserem nächsten Bestimmungsort: London.
Ich bekenne, daß ich etwas von einem Anglophilen habe. Wenn ich an westliche Demokratie und Freiheit dachte, fiel mir das britische parlamentarische System ein. In vielerlei Hinsicht war das Vorbild des Gentleman für mich ein Engländer. Doch obwohl Großbritannien die Heimstatt der parlamentarischen Demokratie war, hatte jene Demokratie dabei mitgeholfen, meinem Volk
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