Der lange Weg zur Freiheit
erster unter Gleichen erscheinen.
Obgleich ich traurig war, meine Freunde in London verlassen zu müssen, so begann doch jetzt der ganz unvertraute Teil meiner Reise: militärische Ausbildung. Dafür waren sechs Monate in Addis Abeba vorgesehen. Ich wurde dort von Außenminister Yefu empfangen, der mich herzlich begrüßte und zu einem Vorort namens Kolfe brachte, dem Hauptquartier des äthiopischen Riot Batalion (Spezialeinheit), wo ich Kunst und Wissenschaft des Soldatenhandwerks erlernen sollte. Zwar war ich ein leidlicher Amateurboxer, doch mir waren nicht einmal die allerersten Anfänge militärischen Kampfes geläufig. Mein Ausbilder war ein Lieutenant Wondoni Befikadu, der mit im Untergrund gegen die Italiener gekämpft hatte. Unser Programm war strapaziös: Wir trainierten von 8 bis 13 Uhr, machten dann eine Pause, um zu duschen und zu Mittag zu essen, und dann ging es weiter von 14 bis 16 Uhr. Von 16 Uhr bis in den Abend hinein erhielt ich Lektionen in Militärwissenschaft von Colonel Tadesse, der gleichzeitig stellvertretender Commissioner der Polizei war und entscheidend mitgeholfen hatte, einen Umsturzversuch gegen den Kaiser zu verhindern.
Ich lernte mit automatischem Gewehr und Pistole zu schießen und beteiligte mich an Schießübungen sowohl in Kolfe mit der Kaiserlichen Garde wie auch mit dem gesamten Bataillon auf einem etwa 75 Kilometer entfernten Schießgelände. Ich wurde unterwiesen im Sprengen und im Abfeuern von Mörsern, und ich lernte, kleine Bomben und Minen herzustellen – aber auch, wie man ihnen aus dem Weg ging. Ich fühlte, wie ich zu einem Soldaten geformt wurde, und begann zu denken wie ein Soldat – himmelweit anders als die Art, wie ein Politiker denkt.
Was mir am meisten Spaß machte, waren die »Gewaltmärsche«, bei denen man nichts weiter hatte als ein Gewehr, Munition sowie etwas Wasser und einen fernen Punkt innerhalb einer bestimmten Zeit erreichen mußte. Während dieser Märsche bekam ich ein Gespür für die Landschaft, die sehr schön war mit dichten Wäldern und dürftigem Hochland. Das Land war äußerst rückständig: Die Menschen benutzten Holzpflüge und nährten sich von der einfachsten Kost, die ergänzt wurde durch selbstgebrautes Bier. Ihr Leben ähnelte dem Leben im ländlichen Südafrika; zwischen den Armen gibt es überall mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede.
Beim Unterricht sprach Colonel Tadesse über Dinge wie die Bildung einer Guerillastreitmacht, wie man eine Armee kommandiert und wie man Disziplin durchsetzt. Eines Abends sagte Colonel Tadesse während des Essens zu mir: »Also, Mandela, Sie werden eine Befreiungsarmee auf die Beine stellen, nicht eine konventionelle kapitalistische Armee. Eine Befreiungsarmee ist eine egalitäre Armee. Sie müssen Ihre Leute ganz anders behandeln als in einer kapitalistischen Armee. Im Dienst müssen Sie Ihre Autorität mit Selbstsicherheit und Kontrolle ausüben. Insofern verhalten Sie sich nicht anders als in einer kapitalistischen Armee. Außer Dienst müssen Sie sich auf der Basis absoluter Gleichheit verhalten, selbst gegenüber dem niedrigsten Soldaten. Sie müssen essen, was die anderen essen. Sie dürfen keine Lebensmittel in Ihren Dienstraum mitbringen, sondern müssen gemeinsam mit den anderen essen und trinken, und dürfen sich nicht isolieren.«
Das klang alles ebenso bewundernswert wie vernünftig, doch während er noch zu mir sprach, kam ein Sergeant in den Saal und fragte den Colonel, wo er einen bestimmten Lieutenant finden könne. Der Colonel maß ihn mit einem kaum verhohlenen Blick der Verachtung und sagte: »Können Sie nicht sehen, daß ich hier mit einer wichtigen Person spreche. Wissen Sie nicht, daß Sie mich beim Essen nicht stören dürfen? Und jetzt scheren Sie sich davon!« Dann setzte er seine Ausführungen im gleichen didaktischen Ton fort.
Die Ausbildung war auf sechs Monate angesetzt, doch nach acht Wochen erhielt ich ein Telegramm vom ANC, das mich dringend aufforderte, nach Hause zurückzukehren. Der bewaffnete Kampf in Südafrika eskalierte, und sie wollten den Kommandeur des MK dabeihaben.
In aller Eile arrangierte Colonel Tadesse für mich einen Flug nach Khartum. Zum Abschied machte er mir ein Geschenk: eine automatische Pistole mit 200 Schuß Munition. Ich war dankbar, sowohl für die Pistole als auch für seine Instruktionen. Trotz meiner Gewaltmärsche empfand ich es als unangenehm, soviel Munition mit mir herumzuschleppen. Eine einzige Kugel ist überraschend schwer:
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