Der lange Weg zur Freiheit
Schweden, der nach Rhodesien emigriert war. Senn war ein ruhiger, ziemlich nervöser Mann Mitte Fünfzig, der sich in seiner Umgebung überhaupt nicht wohl zu fühlen schien.
Die Begegnung wurde nicht überwacht, ein entscheidender Unterschied zu fast allen unseren früheren Besuchern. Er erklärte, alle unsere Beschwerden und Klagen entgegennehmen zu wollen, und hörte sehr aufmerksam zu, wobei er sich ausführliche Notizen machte. Er war sehr höflich und dankte mir für alles, was ich berichtet hatte. Dennoch war dieser erste Besuch ziemlich angespannt. Keiner von uns wußte, was er von dem anderen erwarten sollte.
Ich beschwerte mich mit lauter Stimme über unsere Kleidung und betonte, wir wollten keine kurzen Hosen tragen, sondern brauchten angemessene Kleidung, einschließlich Socken und Unterwäsche, die wir nicht bekämen. Ich zählte unsere Klagen auf, über Verpflegung, Besuche, Briefe, Lernmöglichkeiten, Sport, Schwerarbeit und über das Verhalten unserer Wärter. Ich erhob bestimmte Forderungen, von denen ich wußte, daß die Behörden sie niemals erfüllen würden, wie unseren Wunsch, in Gefängnisse verlegt zu werden, die näher an unserem Wohnort lagen.
Nach unserer Sitzung kam Senn mit dem Gefängnisdirektor und seinem Personal zusammen, während ich wartete. Ich nahm an, er werde unsere Beschwerden den Behörden vortragen und auf die hinweisen, die er für vernünftig hielt. Kurze Zeit nach Senns Besuch erhielten wir bessere Kleidung und lange Hosen. Doch Senn war in keiner Weise ein fortschrittlicher Mann; seine Jahre in Rhodesien schienen ihn an den Rassismus gewöhnt zu haben. Ehe ich in meine Zelle zurückkehrte, erinnerte ich ihn an unsere Beschwerde, daß die afrikanischen Gefangenen kein Brot erhielten. Mr. Senn schien verwirrt zu sein; er schaute den Colonel an, der das Gefängnis leitete. »Brot ist sehr schlecht für Ihre Zähne, wissen Sie, Mandela«, erklärte Mr. Senn. »Mealies sind viel besser für Sie. Sie machen Ihre Zähne kräftig.«
In den späteren Jahren schickte das Internationale Rote Kreuz liberalere Männer, die sich aufrichtig um Verbesserungen bemühten. Die Organisation spielte auch eine entscheidende Rolle auf einem Gebiet, das weniger offensichtlich, aber nicht weniger wichtig für uns war: Häufig verschafften sie Frauen und Verwandten Geld, die anderenfalls nicht in der Lage gewesen wären, uns auf der Insel zu besuchen.
Nachdem man uns auf Robben Island verlegt hatte, waren unsere Helfer in Sorge, ob man uns dort gestattete, uns weiterzubilden. Einige Monate nach unserer Ankunft verkündeten die Behörden, daß diejenigen, die weiterstudieren wollten, um Erlaubnis nachsuchen könnten. Die meisten Männer taten dies, und obwohl sie Gefangene der Gruppe D waren, erhielten sie die Erlaubnis. Nach dem Rivonia-Prozeß war man staatlicherseits selbstsicher und glaubte, es sei harmlos, wenn wir das Privileg zu studieren erhielten. Später bereute man es allerdings. Ein Postgraduierten-Studium war nicht gestattet, doch in meinem Fall machte man eine Ausnahme, weil ich während meines Aufenthalts in Pretoria einen Präzedenzfall geschaffen hatte.
Nur sehr wenige Männer in unserem Block hatten einen BA-Grad, und viele schrieben sich für Kurse auf Universitätsniveau ein. Eine ganze Reihe hatte keinen High-School-Abschluß und wählte Kurse, um sich für einen solchen Abschluß zu qualifizieren. Einige Männer waren bereits hochgebildet, wie Govan Mbeki und Neville Alexander, doch andere hatten nicht mehr als mittlere Schulbildung hinter sich gebracht. Innerhalb eines Monats studierten praktisch alle von uns für den einen oder anderen akademischen Grad. In der Nacht vermittelte unser Zellenblock eher den Eindruck eines Lesesaals als eines Gefängnisses.
Doch das Privileg zu studieren war an ein Bündel von Bedingungen geknüpft. Bestimmte Themen, wie Politik oder Militärgeschichte, waren verboten. Über Jahre hin durften wir außer von unseren Familien keine Geldmittel empfangen, so daß arme Gefangene selten das Geld für Bücher oder Unterricht hatten. Das machte die Gelegenheit zum Studium davon abhängig, wieviel Geld man hatte. Auch war es uns nicht erlaubt, anderen Gefangenen Bücher auszuleihen, was auch unseren armen Kollegen das Studium ermöglicht hätte.
Ständig gab es Streit darüber, ob wir das Studienprivileg akzeptieren sollten oder nicht. Einige Mitglieder der Unity Movement meinten zuerst, wir nähmen von der Regierung Almosen, die unsere
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