Der lange Weg zur Freiheit
ihrer Ansicht nicht lesen sollten. Wenn wir die Blätter erhielten, waren sie stark durchlöchert. Bald konnten wir diese Zeitungen mit Exemplaren des Star, der Rand Daily Mail und der sonntäglichen Times ergänzen, aber diese Publikationen wurden noch stärker zensiert.
Ein Artikel, den ich mit Sicherheit nicht lesen durfte, stand im März 1980 in der Johannesburg Sunday Post. Die Schlagzeile lautete »Free Mandela!« (»Befreit Mandela!«). Er enthielt eine Petition, die die Leser unterschreiben konnten und in der meine Freilassung und die meiner politischen Mithäftlinge gefordert wurde. Den Zeitungen war es zwar immer noch verboten, mein Bild zu zeigen oder Worte zu drucken, die ich gesagt oder geschrieben hatte, aber die Kampagne der Post löste eine öffentliche Diskussion über unsere Freilassung aus.
Die Idee hatten Oliver und der ANC in Lusaka entwickelt, und die Kampagne war der Grundstein einer neuen Strategie, die den Leuten unsere Sache an vorderster Stelle ins Bewußtsein rufen sollte. Der ANC hatte sich entschlossen, die Frage unserer Freilassung zu personalisieren und die Kampagne auf eine einzelne Person abzustellen. Zweifellos hatten die vielen Millionen Menschen, die später die Kampagne unterstützten, keine genaue Vorstellung davon, wer Nelson Mandela eigentlich war. (Man erzählte mir, als in London die ersten »Free Mandela «-Plakate auftauchten, hätten die meisten jungen Leute geglaubt, Free sei mein Vorname.) Auf der Insel gab es auch einige abweichende Stimmen: Die Kampagne zu personalisieren war nach ihrer Ansicht ein Verrat am kollektiven Charakter der Organisation, aber den meisten war klar, daß man nur so das Volk mobilisieren konnte.
Im Jahr zuvor hatte man mir in Indien den Jawaharlal Nehru Human Rights Award verliehen, ein weiterer kleiner Hinweis, daß der Kampf wieder auflebte. Natürlich verweigerte man mir und auch Winnie die Erlaubnis, an der Verleihung teilzunehmen; Oliver nahm den Preis für mich entgegen.
Wir hatten den Eindruck, daß der ANC wieder zum Leben erwachte. Umkhonto we Sizwe verstärkte seine Sabotagekampagne, die jetzt viel raffinierter geworden war. Im Juni legte der MK Bomben bei der Sasolburg-Raffinerie unmittelbar südlich von Johannesburg. Der MK sorgte jede Woche für eine Explosion an dieser oder jener strategischen Stelle. Bomben detonierten in Kraftwerken im Osten Transvaals, vor Polizeistationen in Germiston, Daveyton, New Brighton und anderswo sowie vor dem Militärstützpunkt Voortrekkerhoogte außerhalb von Pretoria. In allen Fällen handelte es sich um strategisch wichtige Stellen, so daß die Anschläge Aufmerksamkeit erregen und den Staat verunsichern würden. General Magnus Malan, der Verteidigungsminister, führte mit Rückendeckung von P. W. Botha eine Vorgehensweise ein, die als »totaler Angriff« bekannt wurde, eine Militarisierung des ganzes Landes zur Bekämpfung der Freiheitsbewegung.
Die »Free Mandela «-Kampagne hatte auch eine heitere Seite.
Wie ich 1981 erfuhr, hatten mich die Studenten der Universität London als Kandidaten für den angesehenen Posten des Universitätskanzlers nominiert. Das war natürlich eine gewaltige Ehre, und meine Konkurrenten waren keine Geringeren als Prinzessin Anne und der Unterhaltungskünstler Jack Jones. Am Ende erhielt ich 7199 Stimmen und war damit der Tochter der Queen unterlegen. In einem Brief an Winnie nach Brandfort gab ich meiner Hoffnung Ausdruck, die Wahl möge ihre kleine Hütte einen Augenblick lang in ein Schloß verwandelt haben, in dem die winzigen Zimmer so groß waren wie der Ballsaal auf Windsor Castle.
Durch die Kampagne für unsere Freilassung wurden unsere Hoffnungen neu belebt. In der schweren Zeit Anfang der siebziger Jahre, als der ANC in der Bedeutungslosigkeit zu versinken schien, mußten wir uns dazu zwingen, keine Verzweiflung aufkommen zu lassen. Wir hatten uns in vielerlei Hinsicht verrechnet; wir hatten gedacht, wir würden in den siebziger Jahren in einem demokratischen, nichtrassistischen Südafrika leben. Aber als das neue Jahrzehnt anbrach, stieg meine Hoffnung auf ein solches Südafrika wieder. An manchen Tagen ging ich morgens auf dem Gefängnishof spazieren, und alle Lebewesen, die Möwen und Bachstelzen, die kleinen Bäume, ja sogar die vereinzelten Grashalme, schienen zu lächeln und in der Sonne zu leuchten. Wenn ich bei solchen Gelegenheiten bemerkte, daß selbst diese kleine, abgeschlossene Ecke der Welt ihre Schönheit hatte, dann wußte ich,
Weitere Kostenlose Bücher