Der langsame Walzer der Schildkroeten
Guesclin?«
»Nein, nein …«
Zoé lächelte sie mit zärtlicher Nachsicht an.
»Wartest du auf jemanden?«
»Nein. Wieso?«
Sie wartet auf jemanden, dachte Joséphine und entdeckte eine neue Reife in den Zügen ihrer Tochter. Heute Morgen beim Frühstück war sie noch mein kleines Mädchen, und heute Abend ist sie fast schon eine Frau. Ist sie vielleicht verliebt? Die erste Liebe. Ich dachte, sie fühle sich zu Paul Merson hingezogen, aber den würdigt sie keines Blickes. Mein kleines Mädchen ist verliebt! Ihr Herz zog sich zusammen. Würde Zoé werden wie Hortense oder wie sie selbst? Hatte sie ein Herz aus Marshmallows oder aus dunklem Nugat? Sie wusste nicht, was sie ihr wünschen sollte.
Iphigénie öffnete ihre Schränke, präsentierte die verschiedenen Aufteilungen, machte auf die Farben und die gerahmten Poster aufmerksam und lauerte stirnrunzelnd auf die kleinste Kritik, den geringsten Kommentar. Léo und Clara liefen mit Tabletts herum und verteilten Papierservietten. Plötzlich erklang Musik. Es war Paul Merson, der einen Radiosender suchte.
»Sollen wir tanzen?«, fragte Madame Merson, schob die Brust vor und streckte sich. »Eine Einweihungsparty ohne Musik ist wie Champagner ohne Kohlensäure!«
In diesem Moment kamen Hervé Lefloc-Pignel, Gaétan und Domitille herein, gefolgt von den van den Brocks und ihren beiden Kindern. Hervé Lefloc-Pignel groß, schlank, lächelnd. Die van den Brocks immer noch das gleiche seltsame Paar, er bleich und mit seinen langen, dürren Fingern fuchtelnd, sie lächelnd, gutmütig, mit ihren verschreckten Kulleraugen rollend. Die Atmosphäre veränderte sich, ohne dass man genau hätte sagen können, wie. Alle schienen plötzlich in Habachtstellung zu verfallen, bis auf Madame Merson, die sich unbeirrt hin und her wiegte.
Joséphine bemerkte den gespannten Blick, den Zoé Gaétan zuwarf. Dann war er es also. Er ging auf sie zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie errötete und den Blick niederschlug. Ein Herz aus Marshmallows, schloss Joséphine aufgewühlt.
Die geballte Ankunft der A-Bewohner brachte eine merkliche Kühle in den Raum. Iphigénie spürte es, eilte auf die Neuankömmlinge zu und bot ihnen Champagner an. Sie lächelte von einem Ohr zum anderen, und Joséphine erkannte, dass sie genauso verlegen war wie alle übrigen. Mochte sie im Intermarché noch so sehr die Faust recken und die Internationale anstimmen, jetzt war sie eingeschüchtert.
Madame Lefloc-Pignel war nicht mit heruntergekommen. Hervé Lefloc-Pignel gratulierte Iphigénie, die van den Brocks ebenfalls. Bald drängten sich die Gäste um sie wie um gekrönte Häupter. Joséphine war erstaunt. Die Macht des Geldes, das Ansehen der schönen Wohnung, die teure Kleidung nötigten trotz allen Spotts Respekt ab. Aus der Ferne hagelte es ironische Bemerkungen, doch kamen sie näher, verneigte man sich.
Monsieur van den Brock schwitzte stark und zupfte unablässig an seinem Hemdkragen. Iphigénie öffnete das Fenster zum Hof. Brüsk schlug er es wieder zu.
»Er hat Angst vor Mikroben, ist das zu fassen bei einem Arzt!«, bemerkte eine lebhafte, hübsche Frau aus Haus B. »Er zieht Handschuhe an, um einen zu untersuchen! Es fühlt sich seltsam an, von Gummihänden abgetastet zu werden … Waren Sie schon einmal in seiner Praxis? Alles sauber und glatt … Man hat das Gefühl, er würde einen mit der Pinzette anfassen!«
»Ich war einmal da und nie wieder. Ich fand ihn ein wenig … wie soll ich sagen … zu aufdringlich«, antwortete eine andere und stopfte sich ein Lachshäppchen in den Mund. »Er hat so eine merkwürdige Art, die Finger zu bewegen und einen dabei anzustarren! Als wollte er einen aufspießen und in sein Schmetterlingsalbum stecken. Schade, es war wirklich praktisch, einen Frauenarzt im Haus zu haben!«
»Es gibt zwei Dinge, die ich beim Arzt nicht gerne öffne: den Mund und die Beine! Ich mache einen großen Bogen um Zahnärzte und Gynäkologen!«
Sie lachten schallend und nahmen sich noch ein Glas Champagner. Bemerkten Madame van den Brock, die sie mit rollendem Auge beobachtete, und fragten sich, ob sie sie gehört hatte.
»Bei der guckt ein Auge nach Valparaiso und das andere nach Toronto«, sagte die eine.
»Hören Sie sie auch singen? Irgendwie haben die von Haus A doch alle einen Dachschaden! Was halten Sie denn von der Neuen? Hockt ständig hier unten bei der Concierge … So was ist doch nicht normal.«
Iris wartete in ihrer Ecke darauf, dass
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