Der langsame Walzer der Schildkroeten
immer noch nicht scheiden lassen. Sie stellt exorbitante Bedingungen, darauf lasse ich mich garantiert nicht ein! Sagst du das jetzt, damit mein Ständer schrumpft?«
»Ich sage das, weil sie mich in meine Träume verfolgt!«
»Ach so, darum bist du in letzter Zeit so schlapp …«
»Ich bin deprimiert wie eine alte Socke. Ich habe auf nichts mehr Lust …«
»Nicht mal auf mich?«
»Nicht mal auf dich, mein dickes Bärchen!«
Mit einem Schlag verlor das Boot seinen Mast.
»Meinst du das ernst?«
»Ich schleppe mich nur noch rum, habe keinen Hunger mehr, esse nichts mehr …«
»Dann muss es wirklich schlimm sein!«
»Und mein Rücken tut weh. Als würde jemand ständig mit einem Messer reinstechen.«
»Das ist sicher der Ischias. Die Schwangerschaft hat dir die Knochen ruiniert.«
»Ich würde mich am liebsten irgendwo hinsetzen und einfach nur noch heulen. Sogar Junior lässt mich kalt.«
»Darum zieht er so ein Gesicht. Ich finde, er wirkt in letzter Zeit etwas mürrisch.«
»Wahrscheinlich langweilt er sich. Vorher war ich in Topform. Ich hab ihn ständig unterhalten, bin für ihn kopfgestanden, hab ihm was vorgetanzt …«
»Und jetzt bist du auf die Nase gefallen! Warst du schon beim Arzt?«
»Nein.«
»Hast du Madame Suzanne angerufen?«
»Auch nicht!«
Besorgt richtete Marcel Grobz sich auf. Wenn Madame Suzanne nicht erwünscht war, musste die Lage ernst sein. Madame Suzanne hatte den Vertrag mit den Chinesen vorausgesagt, den Umzug in die große Wohnung, Juniors Geburt, Henriettes Sturz und sogar den Tod eines nahen Angehörigen im scharfzahnigen Maul eines Ungeheuers. Madame Suzanne schloss die Augen und sah. Das Auge ist trügerisch, behauptete sie, besser sieht man mit geschlossenen Augen, das wahre Sehen vollzieht sich im Inneren. Sie irrte sich nie, und wenn sie nichts sah, dann sagte sie es. Um ihre Gabe nicht zu gefährden, verlangte sie niemals Geld.
Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Pediküre. Sie schnitt die Zehennägel, rubbelte mit einem Bimsstein die Hornhaut weg, entfernte Hühneraugen, horchte die Organe ab, indem sie bestimmte Punkte drückte, und während ihre flinken Finger über Mittelfuß- und Zehenknochen glitten, tauchte sie ein in die Seelen und entschlüsselte ihr Schicksal. Durch einen simplen Druck auf die Fußsohle stieg sie hinauf zu den lebenswichtigen Organen und erkannte die Güte oder Niedertracht desjenigen, dessen Fuß sie in Händen hielt. Über Füße gebeugt, drang sie ein in die Seele und las die Zukunft. Ihre Finger wanderten vor und zurück, sie murmelte unzusammenhängende Sätze. Man musste aufmerksam lauschen, um das Orakel zu hören. Wenn es eine wichtige Botschaft war, wiegte sie sich hin und her und wiederholte immer lauter die Weisungen, die ihr eine himmlische Stimme ins Ohr flüsterte. So hatte Josiane erfahren, dass sie einen Sohn bekommen würde, »einen hübschen, kräftigen Jungen, mit flammendem Haupt, silbernen Worten und einem Verstand aus Platin, Gold wird aus seinem Munde fließen, und seine mächtigen Arme werden die Säulen des Tempels erzittern lassen. Verärgere ihn nicht, denn bald schon wird sich der Mann aus den Windeln des Säuglings erheben.«
Manchmal stand sie auf, packte ihre Nagelzangen, ihre groben Feilen, ihre Polierfeilen, ihre Cremes und ihre Öle ein und sagte: »Ich glaube nicht, dass ich noch einmal wiederkomme, Ihre Seele ist zu hässlich, in Ihnen stinkt es nach Schwefel und Fäulnis, darin fände ja nicht einmal ein Mistkäfer seine Jungen wieder.« Der von den erlebten Wonnen vollkommen entspannt daliegende Kunde beteuerte seine makellose Reinheit. »Versuchen Sie nicht, mich umzustimmen«, erwiderte Madame Suzanne dann, »bereuen Sie, bessern Sie sich, und vielleicht komme ich dann wieder, um Ihnen die Fußsohle zu kitzeln.«
Einmal im Monat kam Madame Suzanne mit ihrer Tasche und ihrem spitzen Seelenwünschelrutengängergesicht ins Haus. Hin und wieder passierte es, dass Marcel der übersinnlich begabten Pediküre seinen Fuß entzog, nachdem er sich finanzielle Unregelmäßigkeiten hatte zuschulden kommen lassen oder einen Konkurrenten ausgetrickst hatte, denn er legte größten Wert darauf, sich ihre Achtung zu bewahren. Madame Suzanne erklärte ihm dann, dass er in der erbarmungslosen Welt, in der er sich bewegte, manchmal die gleichen Waffen einsetzen müsse wie seine Rivalen, und solange er keinem Schwächeren schade, werde ihm sein Betrug vergeben.
»Es fühlt sich an, als hätte jemand den
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