Der langsame Walzer der Schildkroeten
gar nicht weiß, wohin sie guckt.
Vor dem Haus standen drei Polizeiwagen, und Zoé glaubte zu sterben. Maman ist etwas zugestoßen. Sie rannte los, rannte, bis sie die Haustür erreichte. Öffnete sie, stürmte zur Treppe, keine Zeit, auf den Aufzug zu warten, Maman stirbt, und ich habe ihr nichts erzählt, sie stirbt mit einem Missverständnis und weiß nicht, dass ich sie über alles liebe!
Abrupt blieb sie stehen. Die Gaffer drängten sich im Hof. Und sie glaubte ein zweites Mal zu sterben: Sie ist aus dem Fenster gesprungen. Sie war so verzweifelt, weil ich ihr nicht alles ganz genau, bis ins letzte Detail erzählt habe. Maman liebt Details. Ein falsches Wort, und schon steigen ihr die Tränen in die Augen. Oh, ich werde ihr nie wieder etwas verschweigen, ihr nie wieder Kummer machen, ich verspreche, dass ich ihr alles erklären werde, wenn sie vom Boden aufsteht und nicht stirbt.
Sie sah den Rücken von Monsieur Lefloc-Pignel, der sich mit einem blonden Mann mit Bürstenfrisur unterhielt. Monsieur van den Brock war auch da, er sprach mit einer Polizistin, einer kleinen Brünetten mit strengem Gesicht, und Monsieur Merson beugte sich zu Iphigénies Ohr vor.
»Wann wurde sie gefunden?«, wollte Monsieur Merson wissen.
»Das habe ich Ihnen doch schon zweimal erzählt! Sie hören überhaupt nicht zu! Madame Cortès und ich haben sie gefunden, eingerollt in den alten Teppichboden! Obwohl, eigentlich war es ja der Hund … Er hat sie gerochen …«
»Und haben sie schon eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?«
»Bin ich vielleicht bei der Polizei? Fragen Sie sie doch selbst, wenn Sie’s unbedingt wissen wollen!«
Zoé atmete erleichtert auf. Maman war nicht tot. Sie sah sich nach Gaétan um. Entdeckte ihn nirgends. Er musste sich vorbeigeschlichen haben und gleich nach oben gegangen sein.
Mehrere Stufen auf einmal nehmend, rannte sie die Treppe hinauf, riss die Tür auf, ignorierte das Wohnzimmer, wo Iris telefonierte, und stürmte ins Zimmer ihrer Mutter.
»Maman! Du lebst!«
Sie warf sich auf ihre Mutter und rieb die Nase an ihrer Brust auf der Suche nach ihrem Geruch.
»Ich hatte solche Angst! Ich dachte, die Polizei wäre deinetwegen da!«
»Meinetwegen?«, murmelte Joséphine und zog sie an sich.
Und diese zärtliche Zuflucht in den Armen ihrer Mutter ließ Zoés letzte Dämme brechen. Sie erzählte ihr alles. Von dem Kuss mit Philippe, den Briefen ihres Vaters, von Hortense, die behauptete, ihr Vater sei von einem Krokodil gefressen worden, von der Trauer, die ihr die Luft abschnürte, und der Wut, die sich unter die Trauer mischte.
»Ich war die Einzige, die sich für ihn eingesetzt hat! Er ist doch immer noch mein Papa!«
Das Kinn auf den Kopf ihrer Tochter gelegt, lauschte Joséphine ihren Worten und schloss die Augen vor Glück.
»Ich kann nicht einfach einen Schlussstrich ziehen! Aber ihr zwei hattet das getan, und ich wusste nicht mehr, was ich gegen euch ausrichten sollte! Also war ich wütend auf dich und habe nicht mehr mit dir geredet. Und als ich heute Abend die Polizeiwagen gesehen habe, da dachte ich, du hättest es nicht mehr ausgehalten, dass ich nicht mit dir rede. Ich habe gemerkt, dass du darauf gewartet hast, dass ich dir alles erkläre, aber ich konnte nicht, ich konnte nicht, die Worte kamen einfach nicht raus, ich war wie blockiert …«
»Ich weiß«, sagte Joséphine und streichelte ihr Haar, »ich weiß.«
»Also dachte ich, dass du …«
»Dass ich tot wäre?«
»Ja … Maman! Oh, Maman!«
Und sie weinten beide, so eng umschlungen, dass sie fast keine Luft mehr bekamen.
»Manchmal ist das Leben so kompliziert, und manchmal ist es ganz einfach. Da findet man sich ja kaum zurecht«, sagte Zoé seufzend und trocknete ihre Nase an der Schulter ihrer Mutter.
»Und genau aus diesem Grund muss man miteinander reden. Immer. Sonst häuft man immer mehr Missverständnisse an, bis man sich irgendwann gar nicht mehr versteht. Man hört einander nicht mehr zu. Soll ich dir die Sache mit Philippe erklären?«
»Ich glaube, ich weiß es schon …«
»Wegen Gaétan?«
Zoé wurde knallrot.
»Das sucht man sich nicht aus, weißt du. Manchmal überfällt die Liebe einen einfach, sie trifft einen wie ein Schlag. Ich habe alles getan, um Philippe aus dem Weg zu gehen.«
Zoé nahm eine Haarsträhne ihrer Mutter und wickelte sie sich um die Finger.
»An dem Abend, in der Küche, hatte ich nicht damit gerechnet, dass … Es war das erste Mal, Zoé, das verspreche ich dir. Und
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