Der Lauf-Gourmet
Athlet mit zechbedingtem Brummschädel nach sofortiger Linderung sucht.
Ein in die Jahre gekommener Hobbyläufer hat ja schon alle Tricks probiert, um seine mäßigen Leistungen irgendwie zu steigern oder zumindest die Folgen ungesunder Lebensweise zu mindern. Erste Erkenntnis: Training hilft nicht viel, ist außerdem anstrengend und zeitintensiv. Zweite Erkenntnis: Selbst immense Ausgaben im Laufgeschäft führen nicht automatisch zu neuen Rekorden. Die Gewichtsersparnis durch ultraleichte Schuhe oder hauchzarte Laufhemdfasern kann die zweite Flasche Rotwein vom Vorabend nicht ausgleichen. Dritte Erkenntnis: Psychotricks helfen garantiert nicht. Da kann mir der Motivationsguru zehnmal erzählen, wie toll man sich nach einem lockeren Läufchen durch den Grunewald fühlt. Ein Blick aus dem Fenster genügt, um zu wissen: Es wird kalt sein und nass, es wird viel zu lange dauern, und es wird wehtun. Vierte Erkenntnis: Das heldenhafte Vorhaben, endlich gesünder zu leben, wird zuverlässig morgen begonnen, also nie.
Wenn aber weder Training, noch Shopping, noch Psyche, noch gute Vorsätze zu signifikanter Leistungssteigerung führen, was dann? Dann kommt mein Freund Andi ins Spiel. Er weiß was ich will: Laufen ohne Leiden.
Sein Schaufenster zum Beispiel dekoriert Andi jede Woche nur für mich. Er kennt meine geheimsten Sehnsüchte. Heute hat er ein total neues Kombipräparat ausgestellt: Vitamine und Mineralstoffe; nicht irgendwelche Sprudeltabletten, sondern geheimnisvolle Röhrchen mit Zaubermittel, sogar »bierverfügbar«. Was mag das sein? Nimmt man das statt Dornkaat zum Pils ein? Beim nochmaligen Hingucken löst sich das Rätsel: »bioverfügbar« steht da. Klassische Freud’sche Fehllesung. Schade. Aber trotzdem Grund genug, Andi mal wieder in seiner schmucken kleinen Pillenbude zu besuchen. War ja schon mindestens zwei Tage nicht mehr da.
Andi und mich verbindet ein quasi-erotisches Verhältnis. Wir verstehen uns ohne große Worte. Jeder kann dem anderen geben, was der am meisten vermisst: Ich kriege die neuesten Wundermittel, Andi mein Geld. Man kann mir vieles vorwerfen, nur eines nicht: dass ich nicht jedes Opfer bringen würde, den Apotheken-Standort Deutschland zu sichern. Seit Jahren unterstütze ich mein Training mit einer pharmazeutisch flankierten Mehrkanalstrategie. Ein radikales Abführmittel für das ideale Kampfgewicht, Nasentropfen zur gesteigerten Sauerstoffaufnahme, ein sündteures Vitamin-B-Präparat, um den Stoffwechsel zu befeuern und schließlich Zink-Eisen für die Ausdauer. Gegen den Kater wird flankierend Aspirin verabreicht, in der modernen magenschonenden Variante aus dem Einmal-Beutel.
Ich habe noch nicht mal den Ständer mit der völlig neuartigen klinisch getesteten Cellulitecreme passiert, da taucht mein kleiner Knubbel-Andi auch schon hinter seinem Tresen auf, lacht mich an aus seinem beuligen weißen Kittel und fragt nach meinem Trainingsstand. Ich werfe lässig mit einigen Zahlen und Strecken um mich, über die jeder Profi lachen würde. Aber Andi guckt
ganz andächtig. »Neun Kilometer sind Sie gelaufen«, sagt er voller Ehrfurcht. Wie niedlich - er sagt immer noch »Sie«, obwohl wir schon so viel gemeinsam erlebt haben. Ich nicke beiläufig und verschweige den Umstand, dass ich über eine Stunde für die Strecke gebraucht habe und mächtig Schwierigkeiten hatte, im Schlussspurt die Großmutter mit dem Rollator noch einzuholen. Muss Andi ja nicht wissen. Er hält mich für eine Olympiahoffnung. Warum soll ich diese Illusion zerstören?
»Was ist das denn für ein Zeug da im Schaufenster?«, frage ich, »hilft das gegen Brummschädel?« Eilfertig verschwindet Andi in die hinteren Gemächer, dorthin, wo das Epo lagert, wovon er mich allerdings trotz allem Quengeln nicht kosten lassen will. Der Schlingel weiß, wie man mit den Gefühlen eines Läufers spielen kann. »Hier«, sagt Andi und schwenkt ein Beutelchen, »eine Probe, habe ich extra aufbewahrt, nur für Sie.« Gierig greife ich nach der Ware. Doch Andi zieht den Beutel weg. Er lässt mich zappeln, das Luder. »Magnesium und Mineralstoffe«, flüstert er, »ohne Wasser, direkt in den Mund, sofort im Blut.« Spontaner Speichelfluss, vor Glück. Genau das, was ich mir immer gewünscht habe. »Bioverfügbar?«, hauche ich. Andi nickt und reicht mir den Stoff.
Mit zittrigen Fingern reiße ich das Tütchen auf und schütte den weißen Staub auf die Zunge. Es britzelt aufregend. Einige Krümel fallen auf den Boden. Ich
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