Der Lavagaenger
produzieren als Gift? Man wird, mein Sohn, sagte er, eines Tages Hitlers Kaffeeverbrauch untersuchen, und ich sage dir, wir werden recht behalten. Wir und der grüne Tee.
Vorher aber, im November 1938, haben die Kaffeetrinker auch in die Scheiben unseres Teehauses Steine geworfen.
Mein Vater, der in jungen Jahren viel gereist war, hatte dieses und jenes Erinnerungsstück mit nach Hause gebracht. Unter diesen Gegenständen befand sich auch ein siebenarmiger Leuchter aus Haifa, der gut sichtbar die Teestube schmückte. Jemand hatte, vermutlich dieser Menora wegen, das Gerücht in die Welt gesetzt, mein Vater müsse jüdischer Abstammung sein. Schon als 1933 der erste Davidstern an unserem Schaufenster prangte, hatte meineMutter meinen Vater aufgefordert, den Irrtum mit einer Anzeige in der Zeitung aufzuklären. Vater jedoch weigerte sich.
Noch in jener Novembernacht, als fünf Jahre später nicht nur die aufs Fensterglas gemalte Teetasse zu Bruch ging, hielt er Mutter ab, das Fenster im Obergeschoss zu öffnen und den Volkszorn über seinen Irrtum aufzuklären. Was wird sein, sagte Vater, wenn sie morgen dir ankreiden, Chinesin zu sein?
Mein Vater willigte allerdings ein, mich noch im gleichen Jahr mit jüdischen Kindern in ein Camp nach England zu schicken. Siehst du, sagte er, es hat auch mal einen Vorteil, Jude zu sein.
Es sollte der längste Ferienaufenthalt meines Lebens werden. Nach Kriegsausbruch wurde ich vom Ferienkind, ich war inzwischen siebzehn, zum
enemy alien
, zum feindlichen Fremden. Als die Franzosen kapitulierten, wurden alle Deutschen, egal ob Flüchtling oder Nazi, interniert.
Da, Mo fischte ein vergilbtes Foto aus seinem Karton, siehst du uns auf der Insel Man. Hier das bin ich, der Kleinste. Daneben, der Bärtige, war ein Freund meines Vaters, ein Teehändler, der hoffte, nach Amerika zu seiner Familie zu kommen. Hier … na, das siehst du schon am Hitlerbärtchen, da hatten sie mal den Richtigen. Und das hier, das ist Hans, dein Großvater … Warte, das hier ist besser, das ist er, schon in Australien, mit seinem Kakadu.
Das also war er, der Lavagänger: auf den ersten Blick ein unauffälliger Typ in den sogenannten besten Jahren. Die Haare dunkel, scheitellos, wie eben mit der Hand für den Fotografen nach hinten gestrichen. Tatsächlich auffallend, wenn hier Mos alte Schwarzweißfotografie nicht täuschte, waren seine fast schwarzen Augen und um den Mund ein Zug, noch unentschieden zwischen Melancholie und Bitterkeit. Ein Gefühlsgemisch, das Helder bei jemandem, der unfreiwillig in ein fernes Land verfrachtetwerden sollte, durchaus verständlich schien. Doch wider diesen Ernst sprach, sah man genau hin, der linke Mundwinkel. Hatte der nicht noch eben gezuckt, nach oben, wo auf der Schulter mit gespreizter Haube ein Kakadu hockte, den Schnabel geöffnet.
Mo schenkte Tee nach. Er, der Kakadu, sagte immer:
A-doof Iiii-tler, A-doof …
– Das hatte ich ihm beigebracht. Ja, unser Widerstand ist oft ein Witz. Manchmal nur ein Treppenwitz.
Im Sommer 1940 begann unsere Reise. Nach Kanada, hieß es. Wie die Sträflinge. Von ehemaligen Sträflingen bewacht und beklaut. In überfüllten Decks. Im Gestank von Urin und Erbrochenem, von dessen Farbe sich kaum die tägliche Ration Marmelade unterschied. Zwei Wochen lang, so berichtete Mo, dann durften wir das erste Mal an Deck. Im Laufschritt. Barfuß, über die Scherben der von den johlenden Wachen zerschlagenen Flaschen.
Wahrlich, sagte Mo, eine lustige Seefahrt, gleichzeitig von den Gewehrkolben der Briten gejagt und von den Torpedos deutscher U-Boote. Immerhin tat uns später seiner Majestät Premierminister die Ehre an, unsere Internierung als ein bedauerliches Missverständnis zu klassifizieren. Dem Kommandanten dieses Höllenfrachters haben die Briten übrigens selbst den Prozess gemacht. Wäre ich der Richter gewesen, ich hätte ihn dazu verurteilt, für den Rest seines Lebens diese grünlich-gelbe Marmelade zu essen.
Während Mo erzählte, verwandelte sich Helders melancholisch-bitterer Großvater in einen dickfelligen Skatbruder, der einem Leben zwischen Hitze und Dreck allemal noch ein fröhliches Spielchen abgewinnen konnte. Er hatte, sagte Mo, so ein Kartenspiel dabei, da trugen die Figuren Eisenbahneruniformen. Preußische Staatsbahn, Königlich-Sächsische Staatsbahn, Königlich-Bayerische Eisenbahn … und auf den Luschen waren Lokomotiven abgebildet. Er kannte jede Uniform, ob Schrankenwärter oder Bahnhofsvorsteher,und jede
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