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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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genug, dann legte der Major seinen Arm um ihre Hüften, zog sie an sich und nannte sie seine Wüstentaube, bis sie sich mit einer forschen Bemerkung entzog.
    Manchmal gab es Steak von einem Känguru, das der Major mal mit dem Gewehr, mal mit dem Auto erlegt hatte. Und danach, wenn draußen der Himmel fast in Sekundenschnelle von einem tiefen Blau in ein mit dem Kreuz des Südens geschmücktes Schwarz gefallen war, lehrte Hans Kaspar, da zum Bridge der vierte Mann fehlte, den Major und die Witwe das Skatspiel. Die Petroleumlampe funzelte, draußen zirpte die Nacht, und es roch nach Tabakrauch und Bier. Der Höhepunkt dieser Stunde aber war, wenn Mrs. Hayfield mit leicht umfälteltem Lächeln fragte: Meine Herren, jetzt ein Likör? und scherzend hinzufügte: Der Cognac ist leider schon aus …
    Zwar klebte der dick vergorene Beerensaft schwer zwischen Zunge und Gaumen, doch ein klein wenig fühlte Hans Kaspar sich dann, als säße er nicht in der australischen Wildnis, sondern mit den Stickenbacher Töchtern im Berliner Café »Odeon«. Er vermied es aber, mehr als zwei Gläschen zu trinken, denn nach einem dritten war er einmal in eine tiefe Schwermut gefallen und in seine anatolische Jugend zurück. Als er gegen Mitternacht mit Hover zum Lager aufbrach, haderte er immer noch mit sich selbst und seinem Schicksal. Wer von beiden der stärkere Gegnerwar? Selbst darüber gab ihm die durchgrübelte Nacht keine Auskunft. Gegen Morgen, Hans Kaspar hätte nicht sagen können, ob er Schlaf gefunden hatte, fiel sein Blick auf die vor seinem Bett stehenden Schuhe. Es war, als leuchteten sie in der Dämmerung. Er setzte sich auf, nahm einen nach dem anderen in die Hand und strich zärtlich über das Leder und die hineingeprägten Zeichen. Vielleicht, dachte er, bin ich längst unterwegs zum Meer.
    Draußen schob sich die Sonne über den Horizont und tauchte die Wüste in glutrotes Licht.
    Im Lager, bei den Insassen der von den anderen
die rote Baracke
genannten Behausung, hatte man das allzu frühe Scheitern der neuen Ordnung hingenommen, wie jeder avantgardistische Zirkel sein Scheitern in der äußeren Welt nur als Beweis für die Richtigkeit der eigenen inneren Überzeugungen zu werten versteht. Der Major war zwar ein notwendiger Alliierter, doch eben auch Vertreter des kapitalistischen Systems, der noch nicht über seinen bürgerlichen Schatten zu springen vermochte. Gegen Hans Kaspar aber blieb ein gewisses Misstrauen, da manch einer sein agitatorisches Versagen mit kleinbürgerlicher Halbherzigkeit erklärte.
    Mo, der es nicht verstand, sich in der Sprache der Dogmen zu bewegen, und für seinen Freund um menschliches Verständnis warb, wurde von einem der gerechten Eiferer gefragt, ob er denn das Entscheidende, die Macht, überhaupt wolle.
    Andere wollten anderes. Und Hans Kaspar trug, nachdem das ornithologische Desaster vergessen war, auch die Wünsche der anderen Lagerfraktionen an den Kommandanten heran. Da brauchte ein Berliner Kunstmaler Leinöl und Terpentin, die Baracke der orthodoxen Juden wünschte eine eigene Küche für koscheres Essen, ein Sinologe benötigte dringend für die Lageruniversität eine chinesische Grammatik, die Schwulen aus Baracke 63 erbaten ein FässchenVaseline, und der Bayer orderte zwecks Aufnahme einer Sonnenschirmproduktion eine Ladung Seidenpapier. Alles ließ der Major nach Sydney kabeln. Nur für das kommunistische Regelwerk blieb er auch weiterhin unansprechbar.
    An einem Sonntag im australischen Sommer fand die für so viele vorteilhafte Beziehung Hans Kaspars zu John Archibald Hover allerdings ein Ende. Und auch Hans Kaspar hätte beinahe das seine gefunden, als beide nach dem morgendlichen Zählappell zur Farm aufbrachen, um bei Mrs. Hayfield zu Mittag zu essen und den Nachmittag mit Kartenspiel zu verbringen. Beifahrer Hans Kaspar, der unruhig oder, besser gesagt, kaum geschlafen hatte, war eben etwas eingedöst, als der Wagen plötzlich ins Schleudern geriet, über einen Felsblock scharrte und erst kurz vor einem der wenigen abgestorbenen Bäume stehen blieb. Mr. Hover hing kreidebleich und mit schweißbeperlter Stirn überm Lenkrad.
    Drückend lag die Hitze auf dem Land. Weit und breit niemand und nichts, kein Mensch und keine Behausung, nur die steinige Piste, die schnurgerade durch die Einöde führte. Es konnte nicht mehr weit sein bis zur Farm. Zumindest, so glaubte Hans Kaspar, waren sie vom Lager oder anderer menschlicher Hilfe weiter entfernt. Hans Kaspar schob und

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