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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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drückte den massigen Leib des Majors auf den Beifahrersitz, benetzte ihm die Lippen und war erleichtert, als ein schweres Stöhnen erklang.
    Zum ersten Mal in seinem Leben startete Hans Kaspar ein Kraftfahrzeug. Das Getriebe krachte, der Motor jaulte, und der Wagen machte einen kleinen Sprung. Er riss das Lenkrad herum, schon war das Auto an dem Baum vorbei wieder auf der Piste. Er schüttelte den Kopf, unwillkürlich, ungläubig. Der Wagen fuhr, und er, Hans Kaspar, lenkte ihn, bestimmte Richtung und Geschwindigkeit, keine Signale, keine Gleise, nur diese schier endlose Straße. Er könnte, dieEbene würde es erlauben, sogar ohne Straße weiterfahren, auf gut Glück irgendwohin.
    Irgendwohin? Nein, zurück in die syrische Wüste, dorthin, von wo er vor fünfundzwanzig Jahren mit Estragon aufgebrochen war, Siyakuu zu suchen. Hans Kaspar lächelte. Er war auf dem Weg zu Siyakuu. Er war heiter, sang plötzlich laut und fröhlich. Nur das gelegentliche Ächzen des Majors erinnerte ihn daran, dass er in einer ernsten Angelegenheit unterwegs war.
    He, Mr. Hover, rief er dem Bewusstlosen zu, es stört Sie doch nicht, wenn ich singe?! He, Mr. Hover, sind wir nicht die größten Idioten, nicht zu lachen, wenn es ernst wird?!
    Hans Kaspar singt. Hover ächzt. Der Motor dröhnt. Die Staubwolke, die der Wagen hinter sich lässt, hängt noch lange über der Straße. So hat Hans Kaspar im Rückspiegel nicht die feine dunkle Spur wahrnehmen können, die aus einem kleinen Leck im Tank des Wagens rinnt. Es ist stickig, kaum dass der Fahrtwind kühlt. Dunstschleier überziehen den Himmel, der erst bläulich bleiern erstarrt und schließlich in ein dunkles Violett versinkt. Die ersten Böen jagen Disteln über die Straße, dann wirft sich, dunkelrot und schneidend, der Sand über die Ebene. Keine Wegmarken, keine Bäume, alles löst sich auf im Sandsturm, auch die Piste. Die Welt ist Wüste. Nie, so scheint es, hat es etwas anderes als diese Dunkelheit gegeben. Und nie, so ist zu fürchten, wird je wieder etwas anderes sein. Trotzig dröhnt der Motor und kämpft sich durch eine Finsternis, die auf der Haut sticht, zwischen den Zähnen knirscht und in den Ohren pfeift. Plötzlich ein Stocken und Rucken. Ende. Der Motor gibt auf. Hans Kaspar zieht eine Decke über sich und den Major. Irgendwann ist es still.
     
    Als Hans Kaspar die Decke beiseiteschob, gleißte die Sonne wieder aus einem azurblauen Himmel, als wäre nichts gewesen. Nur der feine rote Sand, der außen auf der Frontscheibehing und das Wageninnere überstäubt hatte, erinnerte an den Sturm. Neben ihm der Major atmete schwach. Hans Kaspar stieg aus dem Wagen, sah sich um und sah keine Straße mehr, keinen Weg. Doch da, am flimmernden Horizont, das musste die Scheune der Hayfieldfarm sein. Also rein in das Auto und starten. Ein Tuckern, ein Leiern, mehr nicht. Noch ein Versuch und noch einer und noch … Es war vergebens. Er wischte die Armaturen frei und versuchte, sich auf den Anzeigen zu orientieren. Da, das Symbol einer Zapfsäule, daneben der Zeiger auf Rot.
    Hans Kaspar dachte nach, dann flößte er dem Major etwas Wasser ein und ging, die Feldflasche bei dem Kranken zurücklassend, los. Er würde in zwei, drei Stunden die Farm erreichen. Dann könnte er mit Mrs. Hayfields Hilfe und ihrem Pferdegespann den Major holen. So lief er durch die glühende Ebene, stolperte über Steine und Büschel vertrockneten Grases, immer den Blick auf die Hayfieldfarm gerichtet. Bald spürte er Durst, doch tröstete er sich damit, seinem Ziel schon nahe zu sein. So lief er weiter. Dann begann seine Zunge am Gaumen zu kleben. Nur dass er lief, gab ihm die Gewissheit, dass die Zeit verging, dass er sich vorwärts bewegte. Minuten, Stunden waren kein Maß mehr. Alles war Ewigkeit, solange er nicht am Ziel war. Er suchte etwas Verlorenes, etwas, für das der Name Siyakuu vielleicht nur ein Zeichen war.

XIV
    Damals hatte Hans Kaspar lange nicht begriffen, was geschehen war. Erst, als er zusammen mit Estragon auf der schattigen Terrasse des Konsulats in Aleppo saß, begriff er. Da lagen vor ihnen auf dem Tisch die Fotos.
    Fotos, die illegalerweise, wie Konsul Rößler betonte, angefertigt worden waren. Die aber, wie er seufzend einräumte, wohl die bittere Wahrheit zeigten – und auch die deutsche Schande. Das sind die Fotos, sagte er, die Berichte, die auf meinem Tisch liegen, sollten Sie lieber nicht lesen.
    Estragon legte die Fotografien aus der Hand. Er weinte still.
    Hans Kaspar

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