Der Lavendelgarten
Einstellung zur Moral festzuhalten.
Dann kam ihr eine Idee. Was, wenn sie Victoria mit nach England nahm …?
Sie stand auf und lief aufgeregt im Zimmer auf und ab.
Nein, das war absurd … Wenn sie Jahre, nachdem sie ihren Mann das letzte Mal gesehen hatte, mit einem Kleinkind nach Hause kam, würde Lawrence ihr die Geschichte mit ziemlicher Sicherheit nicht glauben. Oder annehmen, dass das Kind ihr gehörte.
Egal, was Lawrence glaubte: Ihn nach einer vierjährigen Trennung mit einem Kind zu konfrontieren würde ihrer Beziehung mit Sicherheit schaden. Und es wäre ihm gegenüber nicht fair.
Connie kroch niedergeschlagen ins Bett zurück, um noch einmal über Jacques’ Worte nachzudenken. Sie wusste, dass ihr nicht nur ihret-, sondern auch Lawrence’ wegen keine andere Wahl blieb, als das Unvermeidliche zu akzeptieren. Jacques hatte recht: Kriege forderten Opfer. Und die, die sie und ihr Mann gebracht hatten, reichten für ein ganzes Leben.
Am folgenden Abend kehrte Jacques von seinem Besuch im Waisenhaus zurück.
»Sie nehmen sie, Constance«, teilte er ihr im ummauerten Garten mit. »Sie sind zwar voll, aber gegen eine Spende finden sie ein Plätzchen für sie. Édouard kommt dafür auf.«
Connie nickte traurig. »Wann bringen Sie sie hin?«
»Ich denke, es ist das Beste für alle Beteiligten, wenn Victoria uns so schnell wie möglich verlässt. Ich werde Édouard heute Abend um das Geld bitten und ihm eine letzte Gelegenheit geben, es sich anders zu überlegen.« Jacques verzog das Gesicht. »Wenn er es nicht tut, bringe ich Victoria morgen früh hin.«
»Ich begleite Sie.«
»Halten Sie das für eine gute Idee?«
»Es ist alles keine gute Idee, aber wenn ich mit eigenen Augen sehe, dass Victoria ordentlich versorgt ist, kann ich ruhiger schlafen.«
»Wie Sie meinen. Wenn Édouard es sich nicht anders überlegt, fahren wir morgen Vormittag.«
Am Abend legte Connie Victoria in ihr Bettchen und sah ihr ein letztes Mal beim Einschlafen zu.
»Liebes, es tut mir so leid«, flüsterte Connie.
»Édouard lässt sich nicht umstimmen.« Am folgenden Morgen schüttelte Jacques enttäuscht den Kopf. »Ich habe ihn um das Geld gebeten, und er hat es mir kommentarlos gegeben. Bitte machen Sie sich und das Kind bereit.«
Connie, die in der schlaflosen Nacht Victorias Sachen gepackt hatte, holte die Kleine aus dem Kinderzimmer. Als sie mit ihr hinunterging, betete sie um Rettung in allerletzter Minute, dass Édouard aus dem Haus oder dem Garten auftauchen und sehen möge, wie sie Victoria wegbrachten. Doch er ließ sich nicht blicken.
Vor dem Häuschen stand ein alter Citroën.
»Ich habe das Benzin für einen dringenden Anlass aufgespart«, erklärte Jacques. »Es reicht, um hin- und wieder zurückzukommen.«
Connie saß mit Victoria auf dem Arm vorne neben Jaques. Die sonst so friedliche Kleine schrie den ganzen Weg nach Draguignan.
Als sie das Kloster erreichten, nahm Jacques die Tasche aus dem Kofferraum, die Connie für Victoria gepackt hatte, und ging ihnen voran. Während eine Nonne sie in einen Warteraum führte, brüllte Victoria sich auf Connies Arm die Seele aus dem Leib.
»Ruhig, Victoria!« Connie sah Jacques an. »Meinen Sie, sie ahnt etwas?«
»Nein, Constance, ich glaube, sie mag keine Autos«, scherzte Jacques, um die Anspannung zu lockern.
Wenig später betrat eine Nonne in gestärkter weißer Tracht den Raum.
»Guten Tag, Monsieur.« Sie nickte Jacques zu, dann wanderte ihr Blick zu Connie und Victoria. »Das Kind und seine Mutter?«
»Nein.« Connie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht Victorias Mutter.«
Die Nonne nickte nur kurz, als glaubte sie ihr nicht, und streckte die Arme nach Victoria aus. »Geben Sie sie mir.«
Connie holte tief Luft und reichte ihr Victoria. Die Kleine weinte noch lauter.
»Schreit sie immer so?«, erkundigte sich die Nonne stirnrunzelnd.
»Eigentlich ist sie ein sehr ruhiges Kind«, versicherte Connie ihr.
»Gut, wir kümmern uns um Victoria. Monsieur?« Die Nonne sah Jacques an, der sich beeilte, ihr einen Umschlag zu geben.
»Danke.« Die Nonne schob das Geld in ihre große Tasche. »Hoffentlich finden wir bald eine geeignete Familie für sie. Leicht wird das nicht in diesen unruhigen Zeiten, in denen kaum jemand das Geld für einen zusätzlichen Esser hat. Aber sie ist ein hübsches Mädchen, nur ein bisschen laut. Wenn Sie mich entschuldigen würden. Ich muss zurück zu den anderen Kindern. Sie finden den Weg hinaus bestimmt selbst.«
Die
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