Der Lavendelgarten
und versuchte nachzudenken.
Was, wenn Constance Sebastian kurz vor ihrem Tod erzählt hatte, dass seine Mutter Victoria adoptiert war? Und letztlich eine de la Martinières? Und wenn Constance ihm gegenüber das Buch mit den französischen Obstsorten und die Gedichte von Sophia erwähnt hatte? Wenn Constance das getan hatte, damit die Brüder Anspruch auf das Erbe der de la Martinières erheben konnten?
Vielleicht hatte Sebastian Nachforschungen angestellt und herausgefunden, wer die de la Martinières waren. Und als er aus der Zeitung vom Tod von Emilies Mutter erfahren hatte, war er möglicherweise auf die Idee gekommen, dass ihm ein Teil des Erbes zustand.
Doch für einen unehelichen Spross wie ihn wäre es, wie Jacques völlig richtig erkannt hatte, ein langer, mühsamer Weg durch die Instanzen gewesen. Wie viel leichter und bequemer war es da doch, einfach die anerkannte Erbin zu heiraten! Und diese irgendwann zu überreden, dass sie das Château und ihr Bankkonto auf ihrer beider Namen umschreiben ließ.
Emilie erschrak, eher über ihre nüchterne Analyse der Fakten als über Sebastians mögliche Durchtriebenheit. Es passte alles so gut, aber sie hatte keinerlei Beweis dafür, dass ihre Mutmaßungen stimmten. War es Sebastian außerdem zuzutrauen, dass er wissentlich seine Cousine geheiratet hatte?
Emilie wunderte sich über ihre Naivität. Selbst wenn sie sich alles nur zusammenreimte, musste sie sich fragen, wie sie Sebastian hatte heiraten können, ohne mehr über ihn zu wissen.
Vielleicht, dachte sie, lag es daran, dass er ihr in einer schwierigen Situation zur Seite gestanden war. Der Sebastian, den sie von Frankreich kannte, hätte nicht liebevoller sein können. Hatte er ihr alles nur vorgespielt?
Emilie setzte sich auf und schüttelte den Kopf. Selbst wenn sie sich im Hinblick auf Sebastians Motive täuschte, blieb die Tatsache, dass sie unglücklich war. Sie konnte ihrem Mann nicht mehr vertrauen.
Emilie kehrte erschöpft zu Jean und Jacques zurück.
»Wo waren Sie denn, Emilie? Es ist fast dunkel«, fragte Jean, der in der Küche das Abendessen zubereitete, besorgt.
»Ich wollte ein bisschen an die frische Luft, nachdenken.«
»Sie sehen sehr blass aus, Emilie.«
»Ich muss so bald wie möglich mit Ihrem Vater sprechen.«
»Hier, trinken Sie erst mal.« Jean reichte ihr ein Glas Wein. »Mein Vater ist oben in seinem Zimmer und möchte nicht gestört werden. Das strengt ihn alles sehr an. Sie verlangen von ihm, ein mehr als fünfzig Jahre altes Geheimnis preiszugeben. Er braucht Zeit zum Nachdenken. Bitte haben Sie Geduld mit ihm.«
»Ich muss es wissen, bevor ich nach England zurückfahre.«
»Warum, Emilie? Wieso sollte das, was Papa Ihnen sagen kann, etwas mit Ihrem gegenwärtigen Leben zu tun haben?«
»Jean, würden Sie ihn bitte einfach fragen, ob ich mit ihm sprechen kann?«, flehte sie ihn an.
»Emilie, so beruhigen Sie sich doch. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Erklären Sie mir, was Sie so aus der Fassung bringt. Kommen Sie, setzen wir uns.« Jean ging ihr voran ins Wohnzimmer und schob sie sanft in einen Sessel.
»Ach, Jean.« Emilie vergrub das Gesicht in den Händen. »Vielleicht verliere ich den Verstand.«
»Das bezweifle ich. Sie sind die vernünftigste Frau, die ich kenne. Also, ich höre.«
Emilie holte tief Luft und begann mit dem Tag, als sie Sebastian in Gassin begegnet war. Sie erzählte die Geschichte ihrer Liebe und erwähnte auch das bizarre Verhalten ihres Mannes in letzter Zeit sowie sein angespanntes Verhältnis zu seinem Bruder und die merkwürdige Atmosphäre in Yorkshire. Jean stellte ihr eine Schale mit köstlichem Kanincheneintopf hin, die sie leerte, während sie weiterredete. Schließlich erklärte sie Jean ihren Verdacht, dass Victoria die Mutter von Alex und Sebastian war.
»Was, wenn Sebastian mich nur geheiratet hat, um auf unkomplizierte Weise an das zu gelangen, worauf er seiner Ansicht nach sowieso ein Recht hat?«
»Emilie, wir haben außer einem Vornamen keinerlei Fakten, die belegen, dass etwas an Ihrer Theorie dran ist.«
»Bin ich wahnsinnig, so etwas von meinem Mann anzunehmen?«, fragte Emilie traurig.
»Jedenfalls können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Sebastian nicht rein zufällig hier aufgetaucht ist, obwohl er Ihnen weismachen wollte, dass er beruflich in der Gegend zu tun hatte«, antwortete Jean. »Sie sagen, er hätte die Verbindung seiner Großmutter zu Ihrer Familie sofort erwähnt. Dass seine Mutter
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