Der Lavendelgarten
hatte.
Dafür machte sie nun Notizen in ein kleines, ledergebundenes Buch. Connie beobachtete fasziniert, wie Sophias Hände die Größe der Seite und die Position des Stifts zu bestimmen versuchten. Doch wenn Connie fragte, ob sie das, was sie geschrieben hatte, lesen dürfe, sagte Sophia nein.
Eines Septembernachmittags in der Bibliothek, in der aufgrund der ungewöhnlich kühlen Temperatur das erste Kaminfeuer der Saison brannte, sagte Sophia unvermittelt mit verträumtem Gesichtsausdruck: »Constance, du kannst so gut Dinge beschreiben. Kannst du mir auch erklären, wie sich Liebe anfühlt?«
Connie, die gerade die Teetasse an den Mund führen wollte, hielt in der Bewegung inne.
Sie nahm einen Schluck und stellte sie ab. »Das ist schwierig. Ich glaube, das Gefühl ist für jeden Menschen anders.«
»Dann beschreib mir, wie es sich für dich anfühlt«, bat Sophia sie.
»Oje.« Connie überlegte. »Lawrence hat für mich die Welt erhellt. Noch der trübste Tag war in seiner Gesellschaft voller Sonne, ein ganz normaler Spaziergang übers Moor verwandelte sich in etwas Magisches, wenn er an meiner Seite war.« Als Connie an die ersten Tage ihrer Liebe dachte, schnürte sich ihr die Kehle zu. »Ich habe mich nach seiner Berührung gesehnt, die ich gleichzeitig erregend und beruhigend fand. Er gab mir das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein, und Sicherheit, als müsste ich vor nichts mehr Angst haben. Die Stunden, die wir nicht zusammen waren, erschienen mir endlos. Und in seiner Gesellschaft vergingen sie in Windeseile. Er hat mich zum Leben erweckt, Sophia, ich … Entschuldige.« Connie wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab.
»Ach, Constance.« Sophias Hände waren ineinander verschlungen, und auch ihre Augen wurden feucht. »Darf ich dir etwas sagen?«
»Natürlich«, antwortete Connie, die versuchte, sich zusammenzureißen.
»Du beschreibst diese Gefühle so anschaulich. Jetzt weiß ich sicher, dass es Liebe ist. Constance, bitte, ich muss mich jemandem anvertrauen, sonst verliere ich noch den Verstand! Aber bitte verrate meinem Bruder nichts! Versprichst du mir das?«
»Wenn du mich darum bittest.« Connie ahnte, was Sophia ihr gestehen wollte.
Sophia holte tief Luft. »Seit ein paar Wochen weiß ich, dass ich Frederik von Wehndorf liebe. Und er erwidert meine Liebe! Jetzt ist es heraus, Gott sei Dank.« Sophia lachte erleichtert; ihre Wangen röteten sich.
»Sophia …«
»Ich weiß, was du sagen wirst, Constance. Dass es unmöglich ist, dass unsere Liebe nicht sein darf. Ich habe mich wirklich dagegen gewehrt, mir immer wieder klargemacht, dass wir nicht zusammen sein können, aber mein Herz will einfach nicht hören. Frederik geht es genauso. Wir können uns nicht gegen unsere Gefühle wehren und nicht ohne einander leben.«
Connie sah Sophia entsetzt an. »Trotzdem muss dir klar sein, dass jede Beziehung mit ihm jetzt und in Zukunft unmöglich ist. Sophia, Frederick ist ein hochrangiger Nazioffizier. Wenn der Krieg im Lauf des nächsten Jahres ein Ende findet und die Alliierten siegen, wird Frederik mit ziemlicher Sicherheit festgenommen, möglicherweise sogar zum Tod verurteilt.«
»Und wenn die Deutschen siegen?«
»Das tun sie nicht. Egal, wie dieser unselige Krieg ausgeht, zwei Menschen der gegnerischen Parteien können danach nicht zusammenleben. Das wäre undenkbar.«
»Das wissen wir. Aber Frederik hat schon Pläne für die Zeit nach dem Krieg.«
»Ihr plant ernsthaft eine gemeinsame Zukunft?« Connies Kiefer verkrampfte sich. »Aber wie? Und wo?«
»Constance, wer gezwungen ist, einem Diktator beim Aufbau eines Regimes zu helfen, glaubt nicht notwendigerweise daran.«
Connie schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sophia, heißt das, Frederik hat dir eingeredet, dass er eigentlich nicht an die Sache der Nazis glaubt? Der Mann ist mitverantwortlich für das Leid, das unsere Länder gegenwärtig erdulden müssen. Von deinem Bruder weiß ich, dass Frederik der SS , dieser fürchterlichen Elitetruppe angehört. Er …«
»Frederik lebt genau wie wir eine Lüge!«, fiel Sophia ihr ins Wort. »Er ist ein gebildeter, kultivierter Mann und gläubiger Christ. Er hängt nicht der Ideologie seines Führers an. Aber was soll er machen?« Sophia seufzte. »Wenn er das offen sagen würde, wäre er schon längst nicht mehr am Leben.«
Arme, verblendete Sophia! Die Frau war nicht nur im physischen Sinn blind …
»Ich kann fast nicht glauben, was du mir erzählst. Und du solltest
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