Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
und Ängste sind noch privates Terrain.
Es ist nicht normal, aber ich erzähle trotzdem. Normalität ist hier seit einigen Tagen ohnehin nicht mehr die Regel.
Als ich fertig bin, macht Margherita ein nachdenkliches Gesicht.
»Hat er dir wehgetan?«
»Nein. Aber er hat mir Angst eingejagt.«
Ich falte die Hände, drücke sie zusammen, damit sie nicht zittern.
»Manchmal starrt Vito ins Leere, und dann rennt er mit dem Kopf gegen die Wand. Einfach so, ohne jeden Anlass«, sagt Margherita. »Es war nicht deine Schuld.«
Ich zögere kurz, tue es dann aber doch.
»Er hatte ein schwarzes Sweatshirt an.«
»Riccardi?«
»Der Klassenkamerad. Sweatshirt, Hose, Schuhe, alles schwarz. Ich schrieb an die Tafel die Frage, ob es gelb oder weiß sei, um mich von ihm korrigieren zu lassen, damit er von alleine auf die richtige Antwort käme. Stattdessen ist er ausgerastet.«
Es war meine Schuld. Ich habe einen Fehler gemacht, Margherita.
Sie schüttelt den Kopf. »Diese verfluchten Gruftis«, sagt sie, wirft einen letzten Blick auf ihr Spiegelbild und verlässt das Badezimmer.
Ich lehne die Badezimmertür an. Das Blut kehrt wiederin meine Beine zurück und die Kraft, aufrecht zu stehen. Ich gehe in mein Zimmer. Auch der Fußboden schwankt nicht mehr. Mir laufen die Tränen herunter und wollen nicht versiegen.
Nach einigen Minuten taucht Margherita mit Taschentüchern im Türrahmen auf.
Ich träume von Tommaso. Wir sitzen vor dem Schreibgerät, und ich halte sein Handgelenk, um ihm beim Zusammensetzen der Wörter zu helfen.
Gewöhnlich ist er furchtbar langsam.
DER TURM BEBT .
Er hält inne, um ein wenig zu schaukeln, und ich nutze die Unterbrechung, um hinzuzufügen: MANCHMAL .
Tommaso lacht. Er streckt die Faust aus, und ich egreife sie, um sie zu stützen.
IMMER .
Ich umfasse sein Handgelenk und bemühe mich, ihn dazu zu bringen, dass er die Löschtaste drückt, bis die Seite wieder leer ist.
Tommaso schaukelt vor und zurück und lacht so sehr, dass ihm der Speichel aus dem Mundwinkel läuft, den Ärmel seines Pullovers durchnässt.
Er ist ein Monster, denke ich. Er wird mich fressen.
Ich versuche mich zu bewegen, kann aber nicht. Ich bin gezwungen zu sehen, wie er aufsteht, zum Fenster rennt, sich auf die Hände stützt und hinunterstürzt.
4
Da gibt es einen Mann und eine Frau, die heiraten und sich ein Haus kaufen. Dieses Haus hat außer der Küche, den beiden Bädern, dem Schlaf-, Wohn- und dem Arbeitszimmer noch einen weiteren Raum, der vorerst leer steht, aber irgendwann gebraucht werden wird.
Der Mann und die Frau arbeiten, lieben sich, streiten sich, lieben sich etwas weniger, kaufen Möbel, zahlen den Kredit ab, bis sie schwanger wird. Es ist eine natürliche Folge all dessen, was sie getan haben, und sowie das Testergebnis eintrifft, kauft der Mann eine Wiege und die Frau bricht in Tränen aus. Ein paar Monate lang wird jeder der beiden denken, dass er mit dem anderen doch die richtige Wahl getroffen hat.
Überall gibt es Läden mit Umstandsmode, Leute, die ihr im Bus einen Sitzplatz anbieten, Preisnachlässe auf Windeln und Babyfläschchen. Alles wartet auf diese Geburt, und auch sie fährt vor Ungeduld schier aus der Haut.
Wird es ein Junge werden oder ein Mädchen? Wird das Kind ihre Haarfarbe haben, seine hellblauen Augen? Hoffentlich nicht die Nase des Großvaters.
Sie warten.
Auf den Ultraschallaufnahmen sieht man ein Herz, zehn Finger an den Händen und zehn Zehen an den Füßen. Lungen. Einen Mund. Die Andeutung einer Nase. Sie beschließen, sich bis zuletzt vom Geschlecht des Kindes überraschen zu lassen. Der Ehemann sagt, dass er sich auch freuen werde, wenn es ein Mädchen wird.
Die Freunde nennen die beiden schon Mama und Papa, um sie ein bisschen aufzuziehen. Sie verrechnen sich mit den Wochen, und eines schönen Tages ist es Oktober.
In der Klinik bleibt er im Flur sitzen, und mitten in der Nacht trifft der Arzt ihn zufällig vor dem Getränkeautomaten und teilt ihm mit, dass alles geschafft sei.
Währenddessen fühlt sie sich einfach nur leer. Sie hat viel Blut verloren und eine Transfusion bekommen. Wenn sie sich an den Bauch fasst, findet sie nichts mehr darin.
Als die Krankenschwester ins Zimmer tritt, fällt es ihr schwer, sie einzuordnen. Sie sieht in ihr ihre tote Mutter, die eigens zurückgekehrt ist, um ihr das Knäblein zu bringen, um ihr zu sagen, dass sie tapfer gewesen sei und heute Abend nicht das Geschirr spülen müsse.
Es ist ein Junge. Er reißt die
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