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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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misslungenen Bastelarbeiten verstreut: einen Schmetterling ohne Flügel, einen zerquetschten Katzenkopf, Masken ohne Münder.
    »Nimm Platz.«
    Die Belcari sitzt an einem kleinen Tisch, vor sich das aufgeschlagene Klassenbuch, eine Brille auf der Nase.
    Ich hatte keine Zeit, denke ich.
    Sie sucht nach einem Anknüpfungspunkt und findet ihn.
    »Es tut mir leid, dass die Klassenkonferenz so gelaufen ist.«
    Sie blättert in den vor ihr liegenden Akten, ohne hineinzuschauen.
    »Natürlich macht dir niemand einen Vorwurf: Riccardi und Santojanni sind die Fälle, die uns hier in der Schule am meisten beanspruchen. De Lucia wird das hinkriegen.«
    Die Lehne ihres Stuhles ist auf einer Seite demoliert, ein Türflügel des kleinen Schrankes schiebt sich über den anderen, der untere Teil des Kalenders fehlt. Ein Tischbein, das kürzer als die anderen ist, gibt im Zimmer den Ton an, lässt alles schief und krumm erscheinen. Die Ordnung der Dinge ist erschüttert: In den fünf Jahren hat Santojanni Besitz von ihnen ergriffen, sie verschlissen.
    »Für dich habe ich an etwas anderes gedacht.«
    Angesichts ihres aufmunternden Lächelns und der Erinnerung an meinen Auftritt in der Klasse rechne ich damit, dass sie mir eine Pflanze oder etwas dergleichen anvertrauen wird. Stattdessen reicht sie mir ein blaues Flugblatt.
    »Hast du schon mal vom Inklusionsprojekt gehört?«
    Ich nehme das Flugblatt und lese: Der Andersartige bist du.
    »Für die Schule werden harte Zeiten anbrechen. Eigentlich haben sie bereits begonnen. Wir haben es nur noch nicht gemerkt und nicht rechtzeitig gehandelt. Die Lehrerstellen wurden dezimiert. Dieses Jahr trifft es die Mittelschulen und Gymnasien: Stunden, Stellen, Mittel werden gestrichen, und nun sind wir an der Reihe«, heißt es auf dem Flugblatt, »bei der Kommune und der Provinzregierung um Hilfe zu betteln.«
    Wir haben es nicht gemerkt. Wie hätten wir da handeln sollen?
    »Zwei Monate lang mussten wir Telefonate führen und Formulare ausfüllen, und das Ergebnis sind ein paar Arbeitsräume, ein Kurs in therapeutischem Reiten. Und Erzieher, natürlich. Sie werden die Stunden bestreiten müssen, für die sich die Schule keine Lehrer mehr leisten kann.«
    Therapeutisches Reiten.
    Dabei kommt mir Neapel in den Sinn und Tommaso, der den ganzen Tag allein auf der Treppe des ersten Stocks saß und ganz verzaubert die geometrischen Figuren der Bodenfliesen betrachtete.
    »Erzieher?«
    »In den problematischsten Situationen habe ich sie bereits mit einbezogen.«
    »Riccardi«, sage ich.
    »Santojanni, um ehrlich zu sein.« Die Belcari räuspert sich. »Er braucht immer einen doppelten Schutz.«
    Sonst sagt sie nichts mehr, erzählt mir nicht, was es mit diesem Jungen auf sich hat, wovor wir Angst haben müssen. Es ist, als wäre etwas von Santojanni in die Wände eingedrungen und zu Augen und Ohren geworden, die nur darauf warten, einen Verrat zu entdecken.
    »Kurz und gut, wir werden schon irgendwie klarkommen«, meint sie und fegt mit einer flüchtigen Handbewegung das ganze Schuljahr hinweg. »Ich dachte, ich weise dir einen anderen Fall zu, der sich zweifellos leichter in den Griff kriegen lässt als Riccardi.«
    Die Bandbreite der Möglichkeiten ist riesig: Sie reicht von der Birkenfeige bis zum tollwütigen Wolfsrudel.
    »Ich möchte, dass du dich um Mattia kümmerst. Er ist etwas zurückgeblieben, aber ein auf seine Weise durchaus intelligenter Junge, würde ich sagen.«
    Sie händigt mir eine Funktionsdiagnose aus: keine Halluzinationen, keine Anfälle, kein Psycho.
    »Es geht jetzt darum, einen vereinfachten Lehrplan zusammenzustellen. Wenn Mattia die Minimalanforderungen bewältigt, werden wir versuchen, seine Versetzung zu erreichen.«
    Das geht in Ordnung. Das kriege ich hin.
    »Ich sage dir aber gleich, dass seine Familiensituation nicht gerade rosig ist: Die Mutter ist drogenabhängig, der Vater hat psychische Probleme.«
    Ich atme tief durch. Das kriege ich hin.
    »Ansonsten wird alles sehr ruhig verlaufen.«
    Irgendetwas bewegt sich hinter ihrem Rücken. Dumpfe Schläge prallen auf einer metallenen Oberfläche zurück, erheischen Aufmerksamkeit.
    Die Belcari dreht sich zum Fensterbrett um, das zu einer Ablage geworden ist für Bilderbücher, Farbkästen, Gläschen mit Siegellack, die Tasche des Schreibgerätes und einen mit einem dunklen Tuch zugedeckten Kasten, der sich bewegt.
    Wir stehen auf. Vorsichtig nimmt sie das Tuch und zieht es weg: Es ist ein Käfig.
    »Ich präsentiere:
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