Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Gesichter der anderen zu blicken, um eine Art von Unbeteiligtheit zu entdecken, die weniger schuldbewusst war, weil alle sie teilten.
Ob die angehenden Lehrer und Lehrerinnen nun Chemie, Physik, Englisch, Kunst oder Politik studiert hatten, zweifelten sie doch alle an dem Sinn eines solchen Aufbaustudiums. Sie fragten sich, ob sie, nachdem sie über algebraischen Formeln oder toten Sprachen Blut und Wasser geschwitzt hatten, in der Lage wären, neben einem sabbernden Kind zu sitzen, das nicht einmal imstande ist, seinen Namen zu schreiben.
Biagini mochte so oft in der Klasse auf und ab gehen, wie er wollte, sich heiser reden, Hunderte von Seiten zum Auswendiglernen aufgeben: Sein Unterricht prallte gegen eine Mauer.
Nein, danke. Ich will unterrichten.
Wir fangen mit der Division an. Der Rest kommt später.
Mattia kann Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren, die vierte Grundrechnungsart jedoch existiert für ihn nicht. Er ist in der Lage zu begreifen, dass du mehr bekommen kannst, als du hast, und man es dir jeden Moment wegnehmen kann. Vage erfasst er die Möglichkeit, dass eine Frau auf dem Markt drei Kilo Obst für jedes ihrer Kinder kauft.
An das Dividieren allerdings glaubt er nicht. Das Prinzip, demgemäß Dinge zwischen verschiedenen Personen aufgeteilt werden können, erkennt er nicht an.
»Das ist eine Subtraktion«, sagt er.
Wenn wir uns diese Bonbons teilen, Mattia, ist das keine Subtraktion.
Er verzieht den Mund, überlegt. Auch ich denke nach: Wenn wir sie uns teilen, verliert er die Hälfte davon. Es ist eine Subtraktion.
Ich nehme ein anderes Blatt Papier.
»Warte, wir fangen noch mal von vorne an.«
Manchmal ist im Kühlschrank alles da: Salat, Käse, Gemüse, der Vorratsschrank mit Saucen, Reis und Nudeln bestückt, das Gewürzregal quillt über.
Dennoch gehen wir essen.
Es ist stärker als wir: zwei junge Frauen, deren Mütter sie im selben Jahr zur Welt brachten, sie aufzogen, für die täglichen Mahlzeiten, die häusliche Sauberkeit, die Abfallbeseitigung sorgten, sich um einen ganzen Haushalt mitsamt Ehemann und anderen Kindern kümmerten, und das Tag für Tag, jahraus, jahrein. Diese beiden Frauen, Töchter jener Mütter, treffen sich an ihrem freien Tag oder nach der Arbeit in der Küche und kommen zu dem Schluss, dass der Genuss eines bestimmten Gerichts den Aufwand nicht lohnt, es selbst zuzubereiten.
»Aladdin?«, fragt Margherita dann gewöhnlich.
»Aladdin«, sage ich, und wir begeben uns zur Porta Palazzo in ein arabisches Restaurant, wo die Couscousgerichte riesig und die Preise erschwinglich sind. Für den Besitzer ist heute ein ganz besonderer Tag: Zum ersten Mal ist er in Italien Vater geworden, deshalb gehen für die italienischen Gäste Dessert und Kaffee aufs Haus. Während wir warten, holt Margherita die Kamera aus der Tasche und sieht sich prüfend die Fotos an, die sie vor Kurzem auf dem Markt gemacht hat.
»Das hier ist schön.«
Aufgereihte Obststände, eine Afrikanerin, die mit zwei auf den Rücken gebundenen Säuglingen vorübergeht, ein arabischer Händler, der sich vorbeugt, um das Wechselgeld entgegenzunehmen und gleich vornüberzufallen droht.
»Schön, ja.«
Ich gebe ihr die Kamera zurück; ich könnte etwas dazu sagen, wie sie das Licht eingefangen hat, wie gut ihr die Einstellung gelungen ist, könnte ihr ein Kompliment machen, irgendeins. Doch alles, was mir über die Lippen kommt, kreist um mich selbst.
»Es erinnert mich an Neapel. Ich habe das Gefühl, als würde ich auf der Pignasecca einkaufen gehen.«
Margherita hebt kurz den Blick, wendet sich dann wieder den Fotos zu.
»Die Leute scherzen mit dir, wenn du vorübergehst. Sie rufen dir zu, wollen, dass du stehen bleibst. Gemüse und Obst kostet dort wenig. Es macht Spaß.« Ich falte meine Serviette zusammen, schiebe sie unter mein Glas.
Die Stammgäste im Aladdin sind allesamt Araber, bärtige Männer, verschleierte Frauen. Sie essen schweigend oder unterhalten sich leise. Die Musik, eine schnulzige arabische Litanei, ist auf angenehme Lautstärke gestellt. An den Wänden wenige, nüchterne Gemälde: Der Alte hat Geschmack.
»Verdammte Scheiße.«
Margherita schließt das Objektiv und legt die Kamera auf den Tisch.
»Was ist denn los?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagt sie. Als eine Tasse Kaffee vor ihr auftaucht, erhellt sich ihr Gesicht.
»Kann ich dich was fragen?«
Aladdin macht eine kleine Verbeugung.
»Alles.«
»Kennst du Barouni? Der den Stand bei der
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