Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
Vom Netzwerk:
Santojannis Ziel für den Schulabschluss.«
    Der ziemlich verwirrte Distelfink neigt das Köpfchen zur Seite, reißt sein großes starres Auge auf. Tiere in der Schule zu halten ist nicht erlaubt, aber das ist jetzt wohl nebensächlich.
    »Noch etwas«, sagt die Belcari und klopft mit den Fingern gegen die Gitterstäbe. »Um deine Stunden zu vervollständigen, wirst du im Förderbüro De Lucia mit Riccardi helfen.«
    Meine Beine werden schwer wie Blei.
    »Du musst nur beobachten. Ich verlange nicht von dir, dass du dich einmischst.«
    Bevor ich gehe, lege ich ihr das Flugblatt aufs Pult. Es ist vollkommen zerknittert.
 
    Ich wende ihm weiter den Rücken zu, während ich im Förderbüro die Jalousien hochziehe. Kaum fällt ihm das Licht ins Gesicht, zieht Riccardis Teufel eine missgünstige Grimasse. Ich beachte ihn nicht.
    Mattia, ein abgemagerter Junge mit kastanienbraunem, stark gegeltem Haarschopf nimmt die Hände nicht aus den Hosentaschen und schaut sich schweigend um: Jetzt, wo wir allein sind, liegt das, was wir sagen oder nicht sagen, in unserem Ermessen, und wie es scheint, halten wir lieber an uns, bevor wir Schaden anrichten.
    »Also, wie war denn die Schule bisher so?«
    Mit langsamen Schritten durchquert er das Klassenzimmer und geht zum Fenster.
    »Schön. Glaube ich.«
    Auf einem Teil des Tisches türmen sich Masken, die von den Schülern modelliert wurden. Ich bemühe mich, keine zu beschädigen, während ich mich gegen die Tischkante lehne.
    »Warst du schon mal hier?«
    Er antwortet nicht. Nach ein paar Sekunden räusperter sich. »Mit Alex. Am Freitag.« Ich treffe nicht den richtigen Ton.
    »Alex ist dein Betreuer, ja?«
    Er nickt. Es ist ein vertrautes Wort, man sieht, wie er sich daran festklammert.
    Er geht zur Bank beim Fenster: Ich frage mich, ob er eine eigene Schachtel hat wie die anderen verhaltensgestörten Schüler.
    »Was ist das?«
    Zwischen zusammengeknülltem, auf der Bank gestapeltem Karton erhebt das von Riccardi und De Lucia gestaltete Drahtgebilde sein sonderbares Haupt. Aus dem Gerüst ragen Beine und ein Schwanz hervor, beides länger, als ich es in Erinnerung hatte.
    »Keine Ahnung. Vielleicht eine Eidechse.«
    Mattia streckt eine Hand nach dem Schwanz aus, betastet ihn.
    »Nicht berühren.«
    Er wird sofort rot, die Hände verschwinden wieder in den Hosentaschen.
    Ich habe versagt, denke ich. Jetzt schon.
    »Willst du jetzt mein Heft sehen?«, fragt er.
    »Ja«, sage ich. »Zeig mir dein Heft.«
 
    Behindertenpädadogik hieß es früher. Jetzt spricht man von Sonderpädagogik.
    Die Hälfte der Köpfe senkte sich gleichzeitig, um mitzuschreiben, etwas, das man in der Mittelstufe lernt und, bis du Lehrerin bist, nie wieder sein lässt.
    Biagini sprach hastig. Er führte uns vor Augen, wie essein würde, wenn wir in lärmenden Klassen neben spastischen, blinden, autistischen Kindern und solchen mit Down-Syndrom sitzen. Es kam vor, dass er in Wallung geriet, auf und ab lief, Gesetze aufzählte, die wir hätten auswendig hersagen können sollen.
    »Ich schaffe es einfach nicht, alles mitzuschreiben«, klagte Anna während der Kaffeepause.
    Zwei Jahre Referendariat in Latein hatten uns jegliche Kraft geraubt. Und doch schien es uns, als wären wir die letzten examinierten Lehramtsanwärter in einem Land, das beschlossen hatte, keine Lehrer mehr zu rekrutieren. Wir hatten die winzige Chance erhalten, einen Beruf auszuüben, den wir, so dachten wir, liebten, einen guten Kompromiss zwischen dem, was wir wollten, und dem, wozu wir befähigt waren.
    »Er ist zu schnell, setzt zu viel als bekannt voraus.«
    »Stimmt«, schloss sich ein anderer an und blätterte die mit Notizen vollgeschriebenen Seiten durch. »Was meint ihr, wird das alles im Examen drankommen?«
    Es fehlte uns nicht nur an Begeisterung. Wir konnten die Handbücher, die Vorlesungstexte, die Berichte von Tagungen lesen, die Bibliotheken nach den neuesten Erkenntnissen über zerebrale Lähmung durchforsten, Kinderneuropschychiater über Spasmen bei Neugeborenen und Missbildungen des mittleren Gehirnbalkens interviewen. Wir konnten in medizinischen Online-Wörterbüchern die schwierigsten Begriffe nachschlagen, von zufälligen Speiseröhrenokklusionen unserer ungeborenen Kinder, von Wirbelsäulenverletzungen, von sich unter der Haut auflösenden Knochen träumen.
    Wir konnten fleißig sein, die besten Pädagogen, die Italien seit Einführung der Spezialisierungskurse ausgebildet hatte. Und doch brauchte man nur in die

Weitere Kostenlose Bücher