Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
Vom Netzwerk:
uns hinter sich, und wir schaffen es nicht, ihn einzuholen.
    Als er mit dem Kapitel fertig ist, söhnt uns meine Erläuterung wieder mit der Geschichte aus. Ich merke, dass ich in den einfältigen Ton der Großmutter verfalle, die Gutenachtgeschichten erzählt, und ich frage mich, ob er mir in der Kehle kleben bleiben wird. Während ich rede, streckt Parco eine Hand aus: Er will das Buch haben. Er liest Silbe für Silbe, mühsam, legt ab und zu eine Pause ein, um sich mit dem Taschentuch übers Kinn zu fahren und einen Speichelfaden wegzuwischen.
    Ich lächle ihm aufmunternd zu. Idra beginnt zu stöhnen und im Rollstuhl unruhig zu werden: ein leises anhaltendes Wehklagen, das aussetzt, wenn sie sich die Hand in den Mund steckt und darauf herumbeißt. Dann fängt es wieder an.
    »Ok, danke, das reicht«, sage ich. »Mattia, jetzt bist du an der Reihe.«
    »Ich habe keine Lust.«
    Er nimmt die Hände aus den Hosentaschen, klammert sich am Fensterbrett fest, als ob er es mit Gewalt herausreißen wollte.
    »Aber du musst«, insistiere ich. »Los, mach schon.«
    Es dauert noch einen Moment, dann setzt er sich neben mich. Er nimmt das Buch, zieht den Ärmel seines Sweatshirts über den Handballen und säubert die Seite von den Speichelspritzern.
 
    Ein kurzes Anklopfen, das nicht um Erlaubnis bittet, sondern selbstbewusst, gebieterisch Einlass begehrt.
    »Herein«, rufe ich.
    Mirandas Stimme ist barsch und herrisch. Ich glaube, sie kennt weder Konjunktiv noch Konditional, kein grammatikalisches Tempus, das etwas mit Zweifel zu tun hat.
    Tatsächlich taucht, ohne eine Sekunde zu zögern, ein Junge in der Tür auf. Er trägt verschlissene Jeans, ein Sweatshirt mit Kapuze, das ihm bis zu den Knien reicht, und hat zerzauste rote Haare, die ihm in die Augen hängen.
    »So, jetzt bist du bei diesen Wasserköpfen.«
    Ich stehe auf und gehe den beiden entgegen. Miranda müsste doch eigentlich gemerkt haben, dass keiner von den Behinderten hier taub ist.
    »Was gibt es?«
    »Das hier ist Kierloy, hyperaktiver Down. Er gehört nun zu euch.«
    »Inwiefern?«
    »Insofern, als er hier bleibt, weil er in der Klasse nicht bleiben kann: Die Alternative ist, dass er in der Schule rumrennt wie die sprichwörtliche wandelnde Gefahr. Mit einem Messer, wenn ich richtig unterrichtet bin.«
    Miranda hält uns offenbar für eine Karawanserei, die gar nicht zahlreich genug sein kann.
    »Ich bin nicht sicher.«
    Sie verschränkt die Arme. Ich werde mir gleich eine Notiz machen.
    »Das heißt«, fahre ich mit gesenkter Stimme fort und bete zum Himmel, dass sie begreift, »ich bin nicht sicher, ob wir den Eindruck vermitteln sollten, dass jemand, der etwas anstellt, zur Strafe hier landet«, ich fuchtele mit dem Arm herum, deute auf das Zimmer und die darin versammelten Jugendlichen. »Ich will nicht, dass das hier zu einer Bestrafung wird.«
    »Nein, es ist eine Lesestunde!«, schreit Dip hinter mir.
    »Genau: Hier wird gelesen«, sage ich. »Es gefällt mir nicht, dass das jetzt als Strafe betrachtet wird.«
    »Ich werde mit Grazia darüber sprechen. Währenddessen bleibt er hier. Nicht zur Strafe, um Gottes Willen, nur damit man ihm hilft, unter die Arme greift, sagen wir mal. Und wer ist dazu besser geeignet als du?«
    Mit diesen Worten entschwindet sie in den Flur. Kierloy hält den Kopf gesenkt und den Mund geschlossen. Ein kluger Kerl.
    »Wie heißt du?«
    Die Antwort kommt flüsternd. Um sie zu verstehen, muss ich mich zu ihm runterbeugen.
    »Petar«, wiederhole ich für alle. Ich mache ihm ein Zeichen, den Rucksack abzunehmen und mir zum Tisch zu folgen.
    Er rührt sich nicht von der Stelle, mustert einen nach dem anderen. Sein Nervensystem funktioniert, seine Chromosomen sind in Ordnung, seine Lungen haben immer geatmet, die Synapsen geben Bilder, Wörter und Zahlen exakt wieder. Er ist der Wolf inmitten der Hunde.
    Als er sich alle rundherum angesehen hat, heftet er den Blick auf Mattia, geht zu ihm hin und setzt sich neben ihn.
 
    Loredana erklärt mir, dass sie nicht mit gefährlichen Gegenständen arbeiten: weder Hammer noch Meißel, die Schüler lernen gerade, wie man Ton modelliert.
    Ich schlendere zwischen den Entwürfen herum. Andrea keucht, stürzt sich auf den Tonklumpen, würgt ihn, steckt zwei Finger in den weichen Bauch und zieht ihn zu sich heran. Kleine schlammige Tropfen fallen auf den Boden. Während er sich bückt, um sie einzusammeln, stößt er mit dem Rücken gegen den Hocker.
    »Scheiße!«, schreit er, tritt mit dem

Weitere Kostenlose Bücher