Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
Vom Netzwerk:
herum, wirft sich auf die Bank, sodass sie umfällt.
    »Was ist los, Tommaso?«, jammert die Lehrerin.
 
    DER TURM BEEEBT
 
    Während ich mitten in der Nacht auf Giannis Couch an meiner Examensarbeit bastle, klappt das Handbuch über kindliche Psychopathologie genau an der richtigen Stelle auf. In dem Kapitel wird das bei Autisten regelmäßig wiederkehrende Gefühl beschrieben, ganz oben in einem Turm eingeschlossen oder selbst der Turm zu sein.
    Wieder sehe ich Tommasos zitternden Finger vor mir, wie er die Buchstaben auf der Tastatur sucht.
 
    DER TURM BEEBT DIE BANK FELLT UM
 
    »Wenn wir noch ins Museum wollen, müssen wir uns beeilen.«
    Zusammen mit anderen Touristen steigen wir wieder in den Aufzug. Für uns, die wir von durchsichtigem Glas umgeben sind, ist der leere Raum ringsumher weit weg, unkontrollierbar. Wir können nur hoffen, dass dieses langsame Hinabgleiten, auf das wir keinen Einfluss haben, nach und nach, und ohne uns die Knochen zu brechen, die Höhe verringert, damit wir uns so schnell wie möglich wieder in Sicherheit fühlen dürfen.
    Tja, denke ich, so ähnlich muss es sein.
 
    Der Regen, der erbittert gegen die Fensterscheiben peitscht, verdirbt uns jegliche Lust, die Wohnung zu verlassen. Seltsamere Osterferien habe ich noch nie erlebt als hier in Gesellschaft von Anna und Margherita: Die Tage sind eine Abfolge von altem Klatsch und neuen Entdeckungen.
    »Ist Alessandro wirklich schwul?«
    »Wie Elton John. Er hat es jetzt endlich öffentlich zugegeben.«
    »Das tut mir leid.«
    »Warum?«, erwidert Anna und streckt sich auf dem Sessel. »Mit Sicherheit ist er jetzt glücklicher als während unserer Beziehung.«
    Und du?, fällt mir ein, sie zu fragen, aber ich lasse es bleiben. Zum Abendessen schlage ich Pasta vor und informiere sie, dass auch Savarese kommen wird. Den Abend verbringe ich damit, Annas Blicken auszuweichen, die jedes Mal auf mir ruhen, wenn er den Mund aufmacht, um mich auf den Arm zu nehmen.
    »Es ist, als ob man in einer Grotte leben würde, nur weniger befriedigend in ästhetischer Hinsicht.«
    »Hör auf damit, Savarese. Es ist mein Zimmer, nicht deins.«
    Er tut so, als habe er es nicht gehört.
    »Welches Tier könnte hier leben? Nur eine Milbe mit ihren zehntausend Kindern.«
    »Es reicht jetzt, Savarese«, sagt Margherita und beendet den Disput.
    »Er ist nett«, flüstert Anna mir zu, während wir die Teller abwaschen.
    »Er ist ein Psychopath«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen.
    Wenig später gesellt sich Margherita zu uns mit einer Flasche Barbera, die sie gerade entkorkt hat.
    »Wie lange kennt ihr euch schon?«
    »Vier Jahre«, sagt Anna.
    Ehe ich einwerfen kann, dass es mir viel länger erscheint, kommt Margherita mir zuvor.
    »Ein ganzes Leben.«
    Ich weiß, sie denkt jetzt an Pavia. Und an die Arbeit, an Savarese und an all die anderen. Ihrer Erfahrung nach haben Dinge und Personen ein Verfallsdatum.
    Später beende ich ein Telefonat mit De Lucia und finde die beiden leise plaudernd auf dem Sofa. Als wir ins Bett gehen, frage ich Anna, ob es ihr etwas ausmache, am nächsten Tag mit Margherita allein zu bleiben, während ich etwas erledige. Es macht ihr nichts aus.
 
    »Vielleicht hält sie das ja wirklich für eine gute Idee«, hatte De Lucia gestern am Telefon vermutet. »Du solltest aber nicht zu lange bleiben.«
    »Bis dann.«
    Das Mädchen, das mir die Tür öffnet, dürfte etwa zehn Jahre alt sein: maisblonde Haare, rote Kleidung. Die Kleine sieht aus wie eine Puppe, die nur auf Zeit zum Leben erweckt wurde, um der Belcari zu helfen, und die bald wieder von einem Regal herabstarren wird.
    »Ist deine Mama da?«
    Ohne zu antworten, geht sie vor mir her durch die Diele zu einem abgedunkelten Wohnzimmer mit antiken Möbeln und verschwindet darin.
    Vor zwanzig Jahren übertrat ich bei dem Versuch, in einem Versteckspiel zu gewinnen, die verbotene Schwelle zur guten Stube der Großmutter. Die Schritte meines Bruders und unserer Cousins dröhnten die Treppe hinauf und hinunter, während ich regungslos mitten im Zimmerstand. Ich wusste: Wenn mich die Großmutter hier erwischt, fängt sie an zu schreien. Und dennoch blieb ich stehen.
    »Emma.«
    Aus der dunkelsten Ecke des Zimmers dringt heiser die Stimme der Belcari zu mir.
    »Entschuldige: Ich hatte dich nicht gesehen.«
    Ich gehe zu ihrem Sessel. Als sie lächelt, entspannt sich die Falte auf ihrer Stirn. Ich ziehe einen Stuhl vom Tisch in der Mitte des Zimmers heran und setze mich vor

Weitere Kostenlose Bücher