Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
gibt in diesem Lokal eine Stelle, wo man fast nichts von der Musik hört: Sie befindet sich in der Nähe des Eingangs, hinter der Tür, die bei jedem Öffnen den Raum vor Kälte erstarren lässt. Giannis Telefonnummer ist seit drei Jahren dieselbe.
Ich presse das Handy ans Ohr und warte. Das Klingeln verdoppelt sich, vervielfacht sich, wird eindringlich, flehend. Mit einem Mal hört es auf: Eine Stimme teilt mir mit, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar ist.
16
»Ich bin in Rumänien geboren, ich bin fünfzehn Jahre alt. Als ich klein war, ist Mama nach Italien gegangen, ich blieb bei meiner Großmutter. Dann bin auch ich nach Italien gekommen. Ich kann Italienisch sprechen, aber beim Schreiben mache ich noch viele Fehler. In Italien geht es mir gut. Sonst weiß ich nichts von diesem Land. Es ist alles gleich. Manchmal denke ich, dass die Leute hier viele Dinge sagen, die zwar keine Lügen sind, ich weiß nicht, wie man dazu sagt. Wenn sie sagen, dass sie etwas tun oder dass jetzt etwas passiert, und sich dann doch nichts ändert. Ich weiß nicht, wie man das nennt.« Anna faltet Petars Aufsatz zusammen.
»Das wüsste ich jetzt auch nicht.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Dann schreibt er von anderen Dingen. Man kommt nicht dahinter, ob es für ihn eine negative oder eine positive Charaktereigenschaft ist, dieses zuerst ankündigen und es dann doch nicht tun.«
Ich nehme ihr das Blatt aus der Hand, lege es weg. Genug von der Schule.
»Mir gefällt dein Zimmer.«
Ich schaue mich um und gebe ihr nicht Recht. Dieses leere Zimmer mit den weißen Wänden, den gigantischen Bücherregalen, dem Nachttisch voller Schminkzeug, Haarbürsten, Bücher, Verlängerungskabeln, mit dem kaputten Schrank, dem Bett, dessen Matratze breiter ist als der Lattenrost, den Kartons, die aus jedem freien Winkel hervorragen, dieses gleichzeitig in Aufbau und Auflösung befindliche Zimmer ist nichts, was einem gefallen könnte.
»Es sieht nach Selbstbestimmung aus.«
»Und nach Chaos.«
»Auch.«
Ich weiß, dass sie mich auf den Arm nimmt. Dennoch gibt sie mir gleichzeitig zu verstehen, dass ich Fortschritte mache, dass jedenfalls die Voraussetzungen dafür und das Verlangen danach vorhanden sind, oder auch nicht.
»Savarese sagt, dass ich es wohnlicher machen sollte.«
»Savarese?«
»Ein Freund. Eigentlich ein spezieller Freund von Margherita.«
Mir wird bewusst, dass er weder das eine noch das andere ist. Anna fragt nicht weiter nach.
»Die Aussicht ist jedenfalls beschissen.«
Ich trete zu ihr ans Fenster: Auf dem Balkon des Nachbarn sind plötzlich Gartengeräte und schwarze Plastiksäcke aufgetaucht.
»Er ist ein komischer Typ.«
»Ich wette, er hat keinen Garten.«
»Genauso ist es.«
Mich erfasst die Angst, dass er heraustritt, um die Pflanzerde, das Saatgut und die Leichenteile einzusammeln, die er heute Nacht auf den Balkon gelegt hat, und dass er uns vielleicht sieht.
Uni-Zeugs?
Ein unbeugsamer Karton ragt unter dem Bett hervor. Bevor ich sie daran hindern kann, kniet Anna sich hinund macht ihn auf. Kopien, Vorlesungsskripte, Lehrbücher, Seminarstunden, Kaffeepausen, Klausuren, Enttäuschungen, Nervenkrisen, Ängste und Entbehrungen kommen zum Vorschein.
»Sinnlos geopferte Bäume«, sage ich, weil mich die Schatten der Vergangenheit verlegen machen. Sie übergeht meine Bemerkung.
»Da ist sie ja.«
Aus dem Papierstapel taucht meine Examensarbeit auf, kann es kaum erwarten, Luft zu schnappen. Während Anna darin blättert, denke ich an die Unstimmigkeiten, an die Streichungen, an die ausgefallenen Haare, an meinen Großvater, der nun unter der Erde liegt. Scripta manent. Nur Geschriebenes hat Bestand, alles andere nicht.
»Der Turm bebt und die Bank fällt um«, liest Anna.
Etwas in mir sträubt sich dagegen und beschließt, durchs Zimmer zu streifen und die Ordnung der Dinge zu verändern, ohne wirklich aufzuräumen.
»Glaubst du nicht, dass Tommaso unter diesem Panzer aus Gekichere und Geschaukel ein ganz normaler Junge war?«, fragt sie und hält dabei meine Arbeit in der Hand, als hätte diese sie zu der Frage veranlasst. »Kommt in dir nie der Verdacht auf, dass es Signale gab, wir sie aber nicht bemerkt haben?«
»Und was ändert das?«
Sie schweigt.
Zwischen dem, was wir tun sollten, und dem, was wir tun, liegt ein himmelweiter Unterschied, und ebenso zwischen dem, was wir denken, und dem, was sich als wahr erweist.
Anna macht den Karton wieder zu, aber meine Examensarbeit liegt immer
Weitere Kostenlose Bücher