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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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sie hin: zwei Eulen, die sich auf demselben Ast zusammengekauert haben.
    »Stört es dich, wenn wir kein Licht machen? Wegen meiner Migräne.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Ich verfluche De Lucia, der mich nicht begleiten wollte.
    »Wie geht es dir?«
    »Geht so. Es sind vor allem die Kopfschmerzen: Sie gehen einfach nicht weg.« Sie greift sich an die Schläfe, massiert sie.
    Es muss doch irgendwelche Tabletten geben, denke ich. Müsste.
    »Ich hab dir einen Kuchen mitgebracht.«
    Sie antwortet nicht. Ich lege das Päckchen auf den Tisch, nur um etwas zu tun.
    Als ich mich wieder setze, bemerke ich den Schatten hinter der Tür.
    »Wir haben lange diskutiert, ob Riccardi aus der Klasse genommen werden soll.«
    Grazia verzieht keine Miene.
    Der Schatten hinter der Tür bewegt sich, schaukelt hin und her.
    »Ich bin damit nicht einverstanden. Meiner Meinung nach fühlte er sich ohne Grund von dir bedroht, als du ihn ermahnt hast, deshalb hat er so heftig reagiert. Wir dürfen jetzt nicht alles auf den Kopf stellen, er macht doch allmählich Fortschritte. Findest du nicht?«
    Grazia starrt mich schweigend an, beugt sich dann zu mir vor.
    »Er ist ein Junge, der Hilfe braucht. Wie alle anderen.«
    »Ja sicher, ich weiß.«
    »Das Problem ist nur, dass wir ihm nicht helfen können.«
    Ehe ich widersprechen kann, hebt sie die Hand, gebietet mir Einhalt. Dann seufzt sie vernehmlich.
    »Wir haben angefangen, mit ihm in der Klasse zu arbeiten, obwohl sie uns gebeten hatten, es nicht zu tun«, sagt sie. »Nach der ersten Woche fing er an, Bänke auf seine Mitschüler zu werfen. Zwei brachten wir ins Krankenhaus, einen in den Sanitätsraum. Er hatte eine aufgeplatzte Augenbraue, sie hörte gar nicht mehr auf zu bluten.«
    »Grazia, du irrst dich. Riccardi hat so was nicht gemacht.«
    Wieder fährt die Hand hoch. Schweig.
    »Dann haben wir ihn aus der Klasse genommen, in ein eigenes Zimmer im obersten Stock gesteckt.«
    Es gelingt mir nicht mehr, sie zu unterbrechen. Sie hört nicht zu.
    »Da waren er und ich vier Jahre lang. Ich habe ihm das Rechnen beigebracht, das Schreiben.«
    »Und dann?«, frage ich, weil die Pause, die nun folgt, zu lang wird.
    »Tiere sperrt man ein, Kinder nicht. Ich habe gesagt, dass er bereit sei, in die Klasse zurückzukehren. Er war dazu bereit, Emma. Ich wollte es ihnen zeigen, wollte, dass sie es sehen.«
    Ich hatte dich nicht gebeten, mir das zu erzählen, denke ich. Tu es nicht. Es geht mich nichts an.
    »Zwei Tage vor dem vereinbarten Termin waren wir allein im Klassenzimmer. Wir stellten gerade seine Himmelskarte fertig und suchten dafür in den Zeitungen nach geeigneten Fotos. Ich bat ihn, mir die Schere zurückzugeben. Ich war blöd.«
    Der Schatten hinter der Tür ist größer und breiter als Andrea. Es ist Santojanni.
    »Ich habe sie ihm abgenommen, während er sie hierhin richtete«, sagt Grazia, zeigt mit zwei Fingern auf ihre Kehle, macht eine Geste des Durchschneidens. »Ich habe ihm das Handgelenk zusammengedrückt, dann ließ er sie fallen.«
    Ich versuche, wieder zu Wort zu kommen.
    »Es war Santojanni, Grazia, nicht Andrea.«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Sie sind alle gleich. Du hilfst ihnen, behältst sie in der Klasse, sorgst dafür, dass sie einen Abschluss machen, dann gehen sie weg, und es kommen neue, die genauso sind. Es nimmt kein Ende.«
    »Aber Andrea ist anders. Die Mitschüler akzeptieren ihn allmählich. Vor allem Meriem.«
    »Andrea hat sie angegriffen. Er ist gefährlich.«
    »Mag sein«, gebe ich zu und setze damit alles aufs Spiel. »Aber wir haben jetzt eine Möglichkeit, zu ihm durchzudringen, ihn zu beruhigen.«
    Die Belcari schüttelt den Kopf.
    »Doch«, beharre ich.
    Ich setze mich so auf dem Stuhl zurecht, dass sie mich anschauen muss.
    »Andrea verehrt den Leguan wie eine Gottheit. Man braucht nur zu sagen: Der Leguan will das nicht, und sofort lässt er ab von dem, was er gerade tut.«
    »Der Leguan?«, fragt Grazia.
    »Der Leguan«, wiederhole ich. »Du wirst sehen, er rettet uns das Schuljahr.«
    Sie blickt nach draußen. Die Wolken haben eine weiße Haube gebildet, die sich auf den Glasscheiben des Fensters spiegelt, sie wie ein Schleier überzieht, der die Konturen der Gebäude verwischt.
    »Also, es ist mehr oder weniger so etwas wie ein Nervenzusammenbruch«, hatte mir De Lucia erklärt. »Nur, dass er kommt und geht. Hast du schon mal was von Burnout gehört? Panikattacken, Beklemmungen, Depressionen: Es ist, als ob ein Teil des Gehirns ausbrennen

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