Der Leichenkeller
dokumentierte man besser, warum eine frühere Anklage fallen gelassen worden war.
Als ich die Unterlagen zusammensuchte, fand ich hinten im Aktenschrank Dulles’ Yankeejacke. Sie mir zu überlassen war eine letzte freundliche Geste von Paige Vallis gewesen, und ich hatte gehofft, durch sie mit dem Jungen leichter ins Gespräch zu kommen. Da ich ihn jetzt nicht mehr vernehmen musste, stopfte ich sie in eine Mappe, um sie Robelon oder Hoyt zu geben.
»Ich fahre wahrscheinlich direkt nach diesem Meeting zum Flughafen, Laura. Falls mich jemand sprechen will – ich bin die nächsten Tage auf Martha’s Vineyard, um etwas Abstand zu gewinnen. In der Zwischenzeit ist Sarah der Boss«, sagte ich und schloss hinter mir ab.
Das Jacob Javits Federal Office Building lag nur ein paar Straßen südlich von meinem Büro auf dem Foley Square. Der moderne Wolkenkratzer aus Granit und Glas beherbergte eine ganze Reihe von Regierungsbehörden, und ich hatte schon des Öfteren dort zu tun gehabt, meistens im Zusammenhang mit gemeinsamen Ermittlungen mit dem FBI.
Auf der Federal Plaza waren die Sicherheitsvorkehrungen wie üblich streng. Ich zückte meinen Fotoausweis und stellte mich in die Schlange für Regierungsangestellte. Als ich meinen Aktenordner und mein Handy aus dem Metalldetektor nahm, sah ich auf der anderen Seite der Lobby ein bekanntes Gesicht. Ich war mir sicher, dass es der Mann war, der sich Paige gegenüber als Harry Strait ausgegeben hatte.
Ich raffte meine Sachen zusammen und heftete mich an seine Fersen, wobei ich Dutzenden von Leuten ausweichen musste, die rein- oder rauswollten und mit ihren nassen Schuhen den Fliesenboden zur Rutschbahn machten.
Solange Strait in Sichtweite war, wollte ich nicht zu laufen anfangen. Um mich herum waren genug bewaffnete Männer, die mich zur Seite nehmen würden, falls ich einen hysterischen oder durchgeknallten Eindruck machte.
Er schien allein zu sein und verließ das Gebäude durch den Ausgang zur Duane Street, einer schmalen Einbahnstraße, die den Broadway kreuzte und am Foley Square beim Bundesgericht endete. Er blieb kurz stehen und sah sich um, bevor er die Stufen zum Gehsteig hinabging.
Jetzt war ich bis auf wenige Meter an ihn herangekommen. Ich hielt in der Menschenmenge nach jemandem Ausschau, der mir dabei helfen könnte, den Kerl zu stellen. Ich hatte leichte Verspätung zu unserem Meeting und hoffte insgeheim, dass Mike oder Mercer auch unpünktlich waren.
Ich hielt einem uniformierten Wächter in der Nähe des Ausgangs meinen Ausweis unter die Nase. »Arbeiten Sie hier?«
»Ja, Ma’am.«
»Ich muss meinen früheren Chef einholen«, sagte ich und reichte ihm meinen Ordner. »Könnten Sie kurz darauf aufpassen?«
Er zögerte, sah dann aber den Aufkleber mit dem Emblem der Bezirksstaatsanwaltschaft und dem Vermerk TÖTUNGSDELIKT. Er nahm den Ordner und rief mir hinterher: »Um zwei Uhr werde ich abgelöst.«
Ich reckte den Daumen empor und folgte Strait, der nach Westen ging. Als ich nur noch eineinhalb Meter hinter ihm war, rief ich seinen Namen: »Harry?«
Keine Reaktion.
»Harry Strait«, rief ich lauter.
Im Weitergehen drehte der Mann den Kopf und entdeckte mich. Übergangslos beschleunigte er seine Schritte und bog nach links in die Straße, die am African Burial Ground, dem denkmalgeschützten Friedhof afrikanischer Sklaven, vorbeiführte. Ich folgte ihm und schlängelte mich durch die Autos, die bei Rot an der Ampel anhalten mussten.
Jetzt fing er an zu rennen, und die Entfernung zwischen uns wurde zunehmend größer. Er schubste andere Passanten beiseite und war weg, noch ehe sie ihrem Ärger Luft machen konnten. Stattdessen bekam ich ihren Unmut ab. »Hey, wo zum Teufel müssen Sie denn so eilig hin?«
»Langsamer, junge Lady!«
Als er den Broadway überquerte, schaltete die Fußgängerampel vor mir auf Rot. Die Autos hupten mich an, als ich mich zu weit vorwagte und ungeduldig eine Lücke im Verkehr abwartete. Während ich mich durch die Schlange vor dem McDonald’s kämpfte, sah ich Strait in Richtung Church Street gehen.
Er bog erneut ab, in eine kleine Gasse namens Thimble Place. Ich war jetzt völlig außer Atem. Ich war in der High School Langstreckenschwimmerin gewesen, aber nie gut im Laufen.
Als ich von Thimble Place in die Thomas Street einbog, blieb ich kurz stehen und verschnaufte. Eine schwarze Limousine scherte aus einer Parklücke aus. Ich holte tief Luft und lief auf das Auto zu, während Strait – oder wie auch immer
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