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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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einer, der eher pfiffig wirkte als naiv.
    »Kann ich das eine Weile behalten?«
    »Na sicher. Er ist kein Allerweltstyp, du kannst ihn gar nicht übersehen, falls du ihn triffst. Und außerdem hat er immer seine Ente bei sich. Die ist grau-schwarz lackiert und sieht uralt aus, fast schon ungepflegt. Er sagt, die Ente als Antiquität sei ihm am liebsten.« Sie wirkte ziemlich schutzlos, und sicher kam sie sich verloren vor. Sie war jetzt nirgendwo zu Hause und konnte diesen Zustand nur schwer ertragen.
    »Schlaf dich aus.«
    Sie nickte wortlos und fummelte mit ihrer Zigarette im Aschenbecher herum.
    Es war längst dunkel, es hatte zu regnen begonnen; der Wind ging sanft, er war lauwarm. Ich schlenderte durch das Dorf zu Alfreds Hof und sah durch einen Spalt der Jalousie die Familie vor dem Fernseher hocken. Nur Alfred war nicht dabei; er ist kein Mann, der seine Zeit mit Fernsehen vertut.
    Ich fuhr nach hinten hinaus vom Hof und kam über einen langen Feldweg auf die Straße. Auf der Kreuzung in Kerpen nahm ich die Straße Richtung Ahrtal. Die ganze Zeit dachte ich über diesen seltsamen Mann namens Schulze nach, der angeblich so leidenschaftlich Schach spielte und so unglaublich naiv war.
    Das Restaurant vor dem Campingplatz in Ahrdorf war noch hell erleuchtet. Ich stellte den Wagen ein paar Meter weiter ab. Durch das Fenster sah ich, dass eine Gruppe von Frauen und Männern an der Theke stand. An einem Tisch abseits saß ein Pärchen, sie auf der einen Seite, er auf der anderen, und starrte sich wortlos an. Die beiden wirkten wie eine Szene in einem Wachsfigurenkabinett.
    Ich ging hinein und bat um einen Apfelsaft.
    Ein großer Mann mit feuerrotem Gesicht, der wahrscheinlich binnen eines Jahres an Bluthochdruck sterben würde, grölte: »Wenn ich jetzt einen Apfelsaft trinken müsste, käme mir der Kommunionskaffee hoch.« Zwei Frauen neben ihm kreischten vor Vergnügen über diese köstliche Bemerkung.
    Ich nahm den Apfelsaft, hockte mich an einen Ecktisch und stopfte mir eine Pfeife.
    Die Wirtin war jung und robust und schien mir der Typ, der genau wusste, was auf dem Campingplatz vor sich ging. Ich trank den ersten Apfelsaft sehr schnell und ging, um mir ein neues Fläschchen zu holen.
    »Ich suche einen Kumpel, der hier sein könnte«, erklärte ich leise. »Er fährt eine graue Ente, so ein altes Schätzchen. Ist er auf dem Platz?«
    »Da ist einer mit Ente«, nickte sie. »Wie heißt er denn?«
    »Unter uns Kumpels sagen wir immer Blondie«, meinte ich grinsend.
    »Er sagt zwar, er heißt Fred«, lächelte sie. »Aber Blondie ist gut, Blondie passt.«
    »Na also«, sagte ich. »Wo hat er denn sein Zelt aufgebaut?«
    »Also, wenn Sie aus dem Haus rausgehen rechts, dann über die Brücke auf den Platz. Dann wieder rechts und durch bis zum Ende. Da ist das Stück für die Durchreisenden. Der muss eine gute Kondition haben. Bei der Saukälte nachts.«
    »Hat er«, beruhigte ich sie, »hat er immer gehabt.«
    Ich bezahlte, ging hinaus und wandte mich nach links. Hier hatte ich das Problem, irgendwie über die Ahr zu kommen, die an dieser Stelle schmal und stark gestaut reißend fließt. Sie ist zu breit, um zu springen, zu tief, um schnell durchzulaufen; die Ahr ist an dieser Stelle richtig mies.
    Ich sagte mannhaft: »Gott steh mir bei« und rutschte ins Wasser. Es reichte mir etwa bis zum Nabel, und es war kalt. Ich kam überraschend glatt durch, aber es nahm mir den Atem. Ich kletterte hoch und blieb eine Weile stehen, bis meine Atmung sich beruhigte.
    Der Wind kam stetig und gleichmäßig von Westen, es hatte aufgehört zu regnen, die Wolken rissen auf, und ein schmaler Mond gab ein wenig Licht.
    Ich fühlte mich recht sicher, denn auf diesem Teil des Platzes war sein Zelt das einzige. Der Abstand zum nächsten Wohnwagen betrug sicherlich sechzig Meter. Ich schlich mich also zu seinem Auto und probierte vorsichtig die Tür. Es war offen. Er hatte rechts auf einer selbst gebastelten Ablage eine Taschenlampe liegen. Ich leuchtete die Zündvorrichtung an. Von Elektrik verstehe ich nichts, daher riss ich den blauen Draht einfach ab. Dann schloss ich den Wagen wieder und setzte mich unmittelbar neben den Zelteingang. Ich begann allmählich richtig zu frieren. Ich sagte: »Herr Schulze? Hören Sie mich? Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Im Zelt gab es eine schwache Bewegung.
    »Keine Angst«, meinte ich beruhigend. »Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin nur ein Freund von Clara Gütt. Ich muss mit Ihnen

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